Kopernikus in Bümmerstede

geschrieben am 12.10.2011

2011_10_12_Bild1_grossDies hier ist mein Lieblingspark in Oldenburg. Ich brauche keine Bäume, keinen See, keine Bänke. Ich brauche nur ein wenig Rasen und ein wenig Orientierung. Rechts ist die Kopernikusstraße, links die Keplerstraße, unten die Wilhelm-Weber-Straße. Das ist gut zu wissen. Hier drehe ich meine Runden, immer ellipsenförmig um das Straßenschild herum, und denke über die Erde nach, über die Planeten und den magnetischen Fluss. Ich benötige ein Jahr für jede Runde. Die Anwohner kennen mich, sie grüßen freundlich, sie bringen mir manchmal Tee oder Reste ihres Abendbrots. „Immer noch am Drehen?“, fragen sie, und ich nicke bedauernd. Manche laufen auch ein Stück mit, ein paar Zentimeter, bevor sie wieder zur Arbeit müssen, zum Einkaufen oder zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, irgendwo in einer fernen Galaxie.

Das Hans-Jörg-Butt-Denkmal in Bürgerfelde

geschrieben am 16.10.2011

2011_10_16_Bild1_grossDiesen Ball hat Hans Jörg Butt dort auf die Litfaßsäule geschossen. Es muss 1981 oder 1982 gewesen sein, das weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß nur noch, dass er sehr sauer gewesen ist, weil wir ihn wieder nicht haben mitspielen lassen. Es machte keinen Spaß, gegen Hans Jörg zu spielen. Er war zu verbissen und auch schon damals einfach zu gut, aber das sagten wir ihm natürlich nicht. Wir sagten: „Wir sind schon genug“ oder: „Deine Mutter war gerade hier, du sollst sofort nach Hause kommen“, an diesem Tag aber sagten wir gar nichts, wir spielten einfach weiter, beachteten ihn gar nicht, wie er dort schlaksig und winkend am Spielfeldrand stand, in seinem blauen HSV-Trikot, das er zu Weihnachten bekommen hatte und auf das er so stolz war. Irgendwann, nach fünfzehn Minuten vielleicht, drehte er sich einfach um und ging, und wir fühlten uns etwas schuldig, aber spielten weiter, es stand 6:6, das weiß ich noch. Ich weiß auch noch, dass ich gerade den Ball hatte, dass ich gerade zu Thorsten Groß passen wollte, der frei vor dem Tor stand, aber dazu kam ich nicht. Hans Jörg kam plötzlich schreiend aufs Spielfeld gerannt, so schnell, wie ich noch nie jemand hatte rennen sehen, er rannte geradewegs auf mich zu, Augen und Mund weit aufgerissen. Ich sah, wie er mit dem rechten Bein ausholte, wie er gegen den Ball trat, wie der Ball in die Höhe schoss, weit über den Zaun hinaus, weit über die Häuser hinaus, wie er als gefleckter Komet durch den Himmel streifte bis er außer Sichtweite war.

Erst blieben wir alle stumm, den Blick immer noch in den Himmel gerichtet, als könne der Ball auf einmal wieder dort auftauchen, dann schrie Thorsten Groß: „Scheiße Mann, den holst du wieder, Hans Jörg“, aber Hans Jörg lächelte nur, drehte sich um und ging. Keiner von uns sah ihn je wieder, oder erst später im Fernsehen.

Ein paar Stunden haben wir an diesem Nachmittag den Ball noch gesucht, aber natürlich nicht gefunden. Erst Jahre später, Anfang der 90er muss das gewesen sein, entdeckte einer von uns ihn zufällig, hier auf dieser Litfaßsäule in Bürgerfelde, fast fünf Kilometer von unserem Spielfeld damals entfernt. Wir holten ihn nicht von dort runter, keiner von uns spielte mehr Fußball. Es gab längst andere halbherzige Interessen, irgendwelche Beschäftigungen, in denen wir nicht sehr gut waren, und die oft wechselten. Nichts davon hätte uns je schreiend irgendwo gegen treten lassen, so sehr wir auch überlegten.

Wenn ich jetzt in Bürgerfelde bin, schaue ich immer nach, ob der Ball noch da ist. Und dann schaue ich schnell wieder weg.

Die Garagen von Dietrichsfeld

geschrieben am 22.10.2011

2011_10_22_Bild1_grossIch kann mir nicht helfen, aber ich traue den Garagen nicht. Sie tun ganz harmlos mit ihren freundlichen bunten Türen, sie stehen artig in Reih und Glied, aber irgendetwas, da bin ich sicher, hecken sie aus. Es ist nicht leicht, ihnen auf die Schliche zu kommen, schließlich sind es keine Anfänger. Schon Jahre sind sie mit ihrem Plan befasst. Sie verstehen es, sich unschuldig zu geben, öffnen ihre Türen, als ob nichts sei. Manchmal quietschen sie dabei kurz. Dann schweigen sie wieder, und ich lasse sie nicht aus den Augen.

Das lange Spiel in Donnerschwee

geschrieben am 23.10.2011

2011_10_23_Bild1_grossDie Bäume und Büsche sind nicht besonders gut im Fußball. Seit 21 Jahren steht es 0:0, auch wenn der Trainer immer mehr Spieler aufs Feld schickt. Das scheint nichts zu nutzen. Es ist zu wenig Bewegung im Spielaufbau, es hapert an Laufbereitschaft, und schon lange ist keinem mehr klar, wer eigentlich zu welcher Mannschaft gehört. Das Publikum erträgt es stoisch, hin und wieder hört man ein „Jetzt aber mal“ oder ein „Steh auf, wenn du ein Oldenburger bist“, aber vielleicht ist das auch nur der Wind in den verbliebenen Blättern. Ich stehe hier, schwenke meine Fahne, und weiß nicht für wen.

Die halbwegs glücklichen Pferde von Etzhorn

geschrieben am 28.10.2011

2011_10_28_Bild1_grossDas Pferd links hat ein Vermögen im Börsencrash 2001 verzockt. Das Pferd in der Mitte hat ein Vermögen im Börsencrash 2008 verzockt. Das Pferd rechts hat noch nie ein Vermögen besessen. Es hatte anderes zu tun, aber das ist nun auch vorbei.

Die meiste Zeit schweigen sie. „Junge, Junge“, sagt eines von ihnen hin und wieder. „Das sagst du was“, sagt dann ein anderes etwas später. Sie würden gern Skat spielen, aber können sich nie die Regeln merken. Es geht ihnen nicht schlecht. Sie liegen da, und wenn ihnen langweilig ist, gehen sie ein paar Schritte nach links oder rechts und legen sich dann dort hin. Tausend Möglichkeiten gibt es, selbst auf dieser notdürftig eingezäunten Weide in Etzhorn am Anfang des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, in dem alles gerade etwas wackelt. Sie haben ihren Platz gefunden.