Frohe Ostern! [ 19 ]

Ihr wisst nicht, was Ostern ist? Das sind jene Tage im Frühjahr, da in Oldenburg ein ganz besonderes Spektakel stattfindet, und zwar das der berühmten Hasentunke.  Ein jeder ist in diesen Tagen von der Arbeit frei gestellt und hat sich im Allgemeinen bereits Wochen davor vorbereitet. So eine Hasentunke, dass weiß man, wenn man einmal daran teilgenommen hat, erfordert außergewöhnlich viel Kondition, List und jede Menge Schokolade.

Aber von Anfang an. Die Konditoren der Stadt stellen am Abend des Karfreitag große Bottiche voller Kuvertüre auf dem Marktplatz auf, und so genannte Feuerknechte sind in den nächsten Tagen dafür verantwortlich, dass die Feuer unter ihnen nicht verglimmen, sondern die Schokolade flüssig und einsatzbereit halten.

Der Rest ist Bürgersache. Die Oldenburger ziehen mit buntbeflaggten Stangen und Netzen hinaus auf die Wiesen und veranstalten eine Hetzjagd auf die Hasen, die dort leben. Wann immer es gelingt, einen Hasen aufzutreiben, so wird versucht, die arme Kreatur in Richtung des Marktplatzes zu bewegen. Am Einfachsten gelingt dies, kann das Tier gefangen werden; die hohe Kunst des Hasentunkens sieht aber vor, den Hasen quasi aus eigenem Antrieb heraus in die Nähe der Kuvertürebottiche zu bewegen.

Einmal dort angekommen, bildet die johlende Menge einen so engen Kreis um Bottiche und Langohr, dass diesem kein anderer Ausweg erscheint als der Sprung in die Kuvertüre. Und wieder hinaus, versteht sich, und in voller Schokoladenmontur aufgebracht durch die Gassen der Stadt. In anderen Städten des Landes ist diese hübsche Tradition übrigens verloren gegangen. Da begnügt man sich mittlerweile, Hohlfiguren aus Schokolade herzustellen, die wenigstens äußerlich dem Schokoladenhasen nahe kommen. Darüber aber rümpft, was ein echter Oldenburger ist, die Nase. Das seien keine Frohe Ostern, das seien höchstens Faule Ostern!

Goldenes Vlies [ 20 ]

Kondore? Alpaka-Herden? Andine Hochplateaus? Nichts gegen die Phänomene der Norddeutschen Tiefebene. Wo sonst hätte man schon gehört vom feinsten, ätherischen Vlies der Heidschnucke?

Tatsächlich ist die Wolle der Heidschnucke so edel und so begehrt, dass seit jeher versucht wurde, ihre Überlegenheit gegenüber allen anderen Stoffen zu verheimlichen. Niemand sonst als die Bewohner jener Region im Norden sollte sie spinnen und tragen dürfen; zu groß das Risiko, dass Imitate und billige Fälschungen den Markt überfluten.

Auf der Heide ist die Schnucke in ihrem Element. In Herden ziehen die scheuen Tiere über das Land, und ihre Schnelligkeit und Leichtfüßigkeit sind legendär. Nur die stärksten Exemplare der Menschenrasse vermögen, ihnen nachzustellen. Wenn es einmal gelingt, eine Heidschnucke in die Enge zu treiben, so gilt es nur, sich vor ihrer Heimtücke in Acht zu nehmen. Genau in dem Moment, wo sich der Jäger siegreich wähnt, sammelt die Schnucke ihre Spucke im Schnuckenspuckmaul zusammen und katapultiert sie in das Auge des Angreifers. Der Schmerz ist unerträglich.

Hinweise für Hinreisende [ 21 ]

 

  1. Packen Sie saison-unabhängig. So oder so wird Ihnen in Oldenburg jeder Tag von jeder Jahreszeit etwas bieten.
  2. Bringen Sie für die Einheimischen kleinere Geschenke mit; Postkarten aus der Heimat, Kugelschreiber oder Schreibblocks haben sich bewährt. Bitte sehen Sie aus Respekt vor der Oldenburger Zahngesundheit davon ab, Zuckerhaltiges unter der Bevölkerung zu verteilen.
  3. Vermeiden Sie es, über Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur zu sprechen.
  4. So eigenwillig Ihnen die Bewohner auch erscheinen mögen und es Sie reizt, zu fotografieren: Holen Sie vorher unbedingt die Erlaubnis ein.
  5. Trinken Sie ausreichend (vgl. Tiefenkrankheit)  – etwa die örtlichen Lieblingsgetränke Kaffee und Tee.
  6. Lachen Sie über die Witze, die man Ihnen erzählt.
  7. Handeln Sie! So etwas wie festgesetzte Preise gibt es nicht; und wer den zuerst genannten Preis bezahlt, macht sich lächerlich.
  8. Mit dem Kauf lokaler Printprodukte leisten Sie einen Beitrag zu deren Erhalt. Sie lassen sich bestens als Isolierschicht verwenden, wenn Sie sich einmal setzen müssen.
  9. Unterstützen Sie lokale Touren-Anbieter. Ein Oldenburger weiß am besten, was ein Oldenburger weiß.
  10. Reden Sie mit den Leuten. Geben Sie nicht auf.

Wahrhaft schöne Blüthe [ 22 ]

„Nichts in diesem Lande ist aufgeregt, seine Glieder zucken nicht konvulsivisch, es trägt keine tollen Hirngespinste im Kopfe, und doch ist’s in diesem sehr lustig, hell und sinnig. Wohl selten findet man einen so praktisch vernünftigen, so ruhig denkenden und doch so gemütlich warm fühlenden Menschenschlag wie diese Oldenburger.

Es sind nordische Naturen an Ruhe, Besonnenheit, Biederkeit, südliche an Herz und Gemüth. Schwerlich wird jemand auch nach kürzestem Aufenthalte das Land verlassen können, ohne den Bewohnern gut zu sein. Es ist hier, was schlichte, offene, redliche Charaktere betrifft, das Deutschthum in wahrhaft schöner Blüthe zu finden.

Der helle, freie Gedanke, welchem man überall begegnet, thut nicht minder wohl. Diese Intelligenz ist durchaus naturwüchsig, nicht geziert, gemacht, nicht treibhausartig, auch nicht mit so vielen, herben, ätzenden Bestandtheilen des Ironischen versetzt, wie z. B. die Berliner.“

So schreibt Joseph Mendelssohn in „Eine Ecke Deutschlands“, erschienen 1845 in Oldenburg, Verlag Gerhard Stalling.

Der Große Club [ 23 ]

Das ewige Mokieren und Naserümpfen könnt ihr euch sparen! Leben in Oldenburg ist in Wirklichkeit viel anstrengender, aufreibender und ermüdender, als ihr euch jemals vorstellen könntet. Dieser Umstand hat vornehmlich mit dem Strom der Zeit zu tun, der über der Gegend von Oldenburg  – nur Wenige besitzen davon Kenntnis – an Fahrt aufnimmt und wesentlich schneller fließt als andernorts.

Als Folge muss man hierzulande alles in etwa doppelter Geschwindigkeit erledigen als anderswo. Das Tagesgeschäft? Die Politik? Das Großziehen der Kinder? All das geschieht in einem ungezügelten Rausch, denn bevor man’s sich versieht, ist der Tag schon wieder vorbei, die Zeit hat sich selbst zermahlen, und der Abend bricht an.

All das wäre ganz unsäglich, gäbe es nicht den Großen Club – einen Schutzraum für geplagte Bürger. Im Herzen der Stadt nimmt sein stattliches Gebäude die Funktion eines Bunkers ein, und wer sich in ihn hinein rettet, ist vorerst sicher. Der Strom der Zeit teilt sich vor dem Club und fließt an ihm vorbei, ohne ihn zu berühren oder auf ihn einzuwirken. Die Mitglieder haben nun die Gelegenheit, sich dem Studium von Zeitungen, Magazinen und gelehrten Gesprächen zu widmen – Dingen, die den Bürgern sonst für gewöhnlich verwehrt bleiben.