Drachensachen [ 18 ]

„Die Drachen kommen! Die Drachen kommen!“ So schallte es bis vor kurzem noch häufig durch die Straßen von Oldenburg, einer Stadt, der wirklich nichts erspart blieb. Vor allem nicht die Heimsuchungen des Hausierers Bodo Kunewald, der eine besonders feine Antenne für das Nahen der Schuppenwesen zu haben schien. Wann immer es ihm einfiel, rannte er durch die Straßen und Gassen und brüllte wie von Sinnen: „Drachen! Die Drachen kommen!“

Anfangs versteckten sich die Bürger auch folgsam in ihren Häusern, hinter ihren Karren oder dem nächstbesten Erdloch. Drachen? Wer wusste schon so genau, was wirklich draußen in den Sümpfen und Mooren hauste. Mit den Jahren gewöhnte man sich aber an die Ausbrüche von Bodo Kunewald, und niemand zuckte mehr zusammen, wenn er hinter sich schreien hörte: „Drachen!!“ Dennoch konnte die Tatsache, dass niemals ein Drache Kunewalds Ankündigung gefolgt war, niemanden von der Inexistenz von Drachen überzeugen. Insgesamt war das Konzept einfach zu plausibel. Im Mittelalter noch da gewesen, und jetzt, quasi von heute auf morgen, nicht mehr?

Diese Annahme bescherte Bodo Kunewald schließlich eine unerwartete Einnahmequelle. Die besonders Furchtsamen baten ihn um das Anfertigen ebensolcher Lederjoppen, wie er selber eine trug. Denn wenn der Drache kam und einen bei der Schulter packte, so sollte jener Bereich so gepolstert sein, dass die Klauen sich nicht durchbohren konnten. Bodo Kunewald wurde ein respektierter Lederverarbeiter, bis er eines Tages verschwand. „Nu hat der Drache ihn geholt“, flüsterten die Leute, und betraten in der nächsten Zeit nur noch in ihren Lederjoppen die Straßen.