Husten im Himmel [ 11 ]

Elf verpasste Anrufe.

– Gerben.
– Skelettieren
– möglichst alle Sehnen konservieren. (?)
– Schnauze, Zunge, Sohlen, Hoden, Schwellkörper, Krallen bestmöglich konservieren.
– Aufsichtsrats Herz. Konserviert und aufbereitet.
(Sie dächte an eine so eben das Herz fassende, mundgeblasene Glas-Amphore, doppelkonkav und beleuchtet, Fuß aus Waschbeton. „So etwa, Sie wissen schon …“
Ich sagte ihr, dass ich nicht wisse und dass das nun wirklich nicht meine Aufgabe sei und sie sagte: „Sie müssen das projektorientierter betrachten“, und legte mir die Hand auf den Unterarm. “Sie sind Case-Manager. Für mich betreuen Sie Projekte, Sie liefern ein Endprodukt ab, für dessen Qualität Sie letztendlich verantwortlich sind und führen nicht nur einen einzelnen Schritt aus, verstehen Sie? Das können Sie, ich spüre das.“)
– Reste verbrennen, handgeschnitzte Urne aus Kirschholz
(„Und keine Präparation?“, hatte ich gefragt. Das genau sei mein Fachgebiet, meine besondere Fähigkeit. Aber sie schüttelte den Kopf und lächelte. Ich sah, dass ihre Vorderzähne etwas zu groß waren für ihr kleines, dünnes Gesicht. Der von mir aus rechte war noch einen Tick länger als der linke und überdeckte diesen leicht schräg. Ich weiß noch, dass mich das wunderte: so eine Frau, mit all diesen Möglichkeiten, in dieser Umgebung, die sich nicht dental optimieren lässt. Eher selten.)

Ich skelettiere viel zu selten. Skelette sind nicht sehr gefragt. Warum eigentlich?
Normalerweise zieht man die Haut ab, vermisst den Kern, das Fleisch, und dann kommt alles Innere in den Müll. Ohne konkreten Auftrag macht man sich diese ganze Arbeit einfach nicht: Die Knochen zu entfleischen, sie dann in fließendem Wasser tagelang zu entbluten, anschließend zu kochen mit ein bisschen Soda, bis sich alle Sehnen, alles Fleisch ablösen lässt. Dann die Entfettung mit Petrolbenzin. Dann die Bleiche, die tagelang einziehen muss.
Abbau. Aufbau. Es ist, wie wenn früher Vater das Motorrad in seine Einzelteile zerlegt, gereinigt und wieder zusammengebaut hat. Und wie jedes mal drei Schrauben übrig blieben, bleibt immer auch der ein oder andere Knochen zurück. Dann Fixierung und Pose. Draht, Kunststoff. Das Aufstellen.

SMS: „Es ist mein Ernst. Ich muss dich sprechen. Bitte, ruf zurück. Können wir uns treffen?“
Zwei Minuten später noch eine SMS: „Was sollte das mit dem Licht? Hast du mich beobachtet? Hast du nicht mal genug Mut zu klingeln?“

Nicht heute und nicht morgen werde ich zu Aufsichtsrats Frauchen gehen. Ich werde mich nicht vor
Ende der Woche bei ihr melden, dann mit einem Kostenvoranschlag.
Sie will spielen?
Soll sie warten.
Bis ich die Spiele eröffne.
Ich habe ihren so wertvollen Tierkadaver. Joker.
Urne? Glas-Amphore? Ich bin nicht ihr Hündchen. Ich hab einfach keinen Bock, mich mit solchem Scheiß zu beschäftigen.

Liegt ein Gewitter in der Luft.

Und Rieke? Sowas von egal. Was kann schon sein? Sie braucht Geld. Ihre mickrigen Vorräte sind aufgebraucht. Der Stoff geht ihr zu Ende. Und jetzt kriegt sie es mit der Angst zu tun. Nicht länger mein Problem. Soll sie anschaffen gehen. Schwesterherz.
Ich gehe in den Hof und fühle den Sturm aufkommen. Laufe Richtung Gymnasium. Unter den alten Wellblechdächern über den Fahrradständern will ich stehen und mir die Lunge blau rauchen, wenn das Gewitter endlich kommt.
Tippe: „Ich kann dich nicht sehen. Ertrage es nicht.“
Ziehe die Flasche Rotwein aus der Tasche. Zigarette Nummer zwei. Da blitzt es zum ersten Mal.
Wie muss man eigentlich drauf sein, wenn man sich seinen ganzen Hund erhalten lässt? Ich meine: wie kommt man auf die Idee und welchen Reiz befriedigt das? Ich sollte mich nicht damit beschäftigen, normalerweise tue ich das auch nicht, aber diese Frau …
Der Donner ist noch weit entfernt. Zähle bis zweiundvierzig.
Tippe: „Weißt du noch, als ich dich ins Krankenhaus getragen habe? Sie haben dir den Zeh abgemacht und du hast so geweint. Ich habe dir geschworen, dass du nie wieder so weinen sollst und dass ich dafür sorgen werde. Weil du meine Schwester bist. Und du hast „ja“ gesagt. ‚Wir zwei, für immer‘, weil wir zusammen gehören. ‚, hast du gesagt, ‚auch wenn alle Zehen gehen, weil du mein Bruder bist.‘ Das weiß ich noch genau.“
Im Himmel wogt das Schwarzblau. Dann zerreißt ein Blitz die Dunkelheit. Eine riesige helle Wurzel wächst von oben hinein, Wind. Das schwere, bronchiale Krachen. Dann klatschen die ersten schweren Tropfen herab. Zerplatzen fett und ölig auf dem Boden, heben leise an zum Wirbel über mir. Rotwein. Zigarette. Ein ohrenbetäubendes Trommeln auf dem zwölf Meter langen Dach. Könnte heulen vor Glück. Blutwein. Krebsrauch. Ich lebe.
Tippe: „Hast du es mal mit Heroin versucht? Soll schneller gehen.“

Nach dem Gewitter diese Stille. Eine andere Stille als davor. Größer. Mitten hinein schmeiße ich die Flasche aus dreißig Metern gegen das Schultor. Treffe. Und die Flasche zerplatzt in unzählige Teile. Ein kleines, schepperndes Klirren, kurz und glockenhaft gegen das Husten des Himmels. Witzig. Laufe zurück.
Kaufe im Supermarkt Sushi und mehr Wein. Die kleinen Reisrollen mit Fischfetzen und Avocado auf dem Warenband. Ich denke über Kunst nach. Bite-sized Kunst. Lache laut. Der Kassierer guckt, als hätte ich gefurzt.
Andere Frage: Macht es sie erpressbar?
Angenommen, ich ginge allein mit dieser Liste ihrer Wünsche, Aufsichtsrat betreffend, an die Presse beziehungsweise drohte damit … Was wäre es ihr wert, das zu verhindern? Und das ist ja nur, was sie mir auf den allerersten Metern anvertraut hat. Was ließe sich in drei Monaten finden?
Irgendwas juckt.

Es gibt Schlimmeres.
Alle diese Tiere in meiner Werkstatt sterben nicht, weil ich sie ausstopfen will. Ich stopfe sie aus, weil sie gestorben sind. Jedenfalls die allerallermeisten. Und fast alle Tiere, die ich mache, sterben reicher als fünfundneunzig Prozent der Menschheit. Kein Witz: die meisten an Herzverfettung. Ihre kleinen Herzbeutel sehen aus wie Krapfen, glasiert.
Wieder ist die Evolution zu langsam. Reagiert nicht schnell genug auf die extreme Anpassung zwergwüchsiger Wölfe an den Homo Sapiens. Wenn man es von etwas weiter entfernt sieht, ist es auf eine putzige Art gruselig, oder?
Kunst. So gesehen, bin ich ein Chronist: ich schaffe ironische Abbilder unserer Gesellschaft, unserer Zeit. Ein Gruselkabinett, das man in schon zweihundert Jahren mit Kopfschütteln betrachten wird. Was wird man in tausend Jahren denken über diese Zeit, wenn das, was bliebe, meine Tiere wären? Würde man mich verstehen, wie ich hier augenzwinkernd kommentiere?
Abbilder der Welt fabriziere. Wahrhaftig und gräßlich. Dokumentarisch, aber nie ergeben. Skulpturen aus den Schlafzimmern der wohlhabenden Welt. Aus den Wohnlandschaften der Mächtigen gefischte Wesen. Konserviert. Ewig gemacht. Bild gehauen. Bild gebaut.

Sie wird mir 5 bis 7 tausend netto anbieten, pro Monat. Plus Material. Sie wird etwa fünf Mal so viel wie für ihren Gärtner bieten, schätze ich. So wird sie das messen. Der Gärtner ist ihr Maßstab. Ein Handwerker, ein ausgefallenes Gewerbe, ein ihr sehr wichtiger Auftrag. Sensibel.
Ich werde sagen: Festpreis 20 000!
Nein, scheiß drauf: 25!
Und unabhängig bleiben. Ich arbeite in meinem Tempo, kein Chef, der Laden bleibt geschlossen, wenn ich gesoffen habe.

Tippe: „Ich treffe dich. Wann ich will. Und wo ich will. Wenn ich will.“