geschrieben am 04.09.2012
Eine psychiatrische Klinik in Berlin. Der Oldenburger Stadtschreiber liegt im Bett. Er schläft und lächelt. Neben ihm stehen Dr. Elvira Hansen und Dr. Kurt Huber bei der Dienstübergabe.
Huber: Er lächelt.
Hansen: Das würden Sie auch. Bei der Menge Beruhigungsmittel, die wir in ihn gepumpt haben.
Huber: Was hat er?
Hansen: Völlig unklar. Er ist wohl Schriftsteller und stand in seiner Kantine…
Huber: Seit wann haben Schriftsteller eine Kantine?
Dr. Elvira Hansen guckt kurz aber scharf über ihre Lesebrille. Dann sagt sie: Das ist so ein Künstlerateliergemeinschaftsding. Was weiß ich? Der Koch sagte jedenfalls, der Patient habe Matjes bestellt und sich dabei immer wieder nervös umgeguckt. Das würde er aber sonst nie machen. Das mit dem nervösen Gucken. Dann sei eine befreundete Künstlerin des Schriftstellers gekommen, habe ihn begrüßt und bei dieser Begrüßung die Worte: Kuss, Kuss gesagt. Der Schriftsteller habe daraufhin zu schreien angefangen, um sich geschlagen und ist kurz darauf in Ohnmacht gefallen.
Huber: Kuss, Kuss wie küssen oder Couscous, wie das Gericht?
Dr. Kurt Huber grinst dabei ein wenig schmierig. Dr. Elvira Hansen geht darüber hinweg.
Huber sagt: Wann gehen sie jetzt eigentlich mal mit mir essen?
Auch darauf reagiert Dr. Elvira Hansen nicht.
Hansen: Ich denke Kuss, Kuss als Begrüßung. Also Kuss links und Kuss rechts. Couscous zu Matjes macht ja wohl keinen Sinn.
Huber: Wieso? Wie isst man denn Matjes? Bei uns in Bayern gab es den ja nicht so oft.
Hansen: Der Patient ist in Schwerin geboren. Also in der DDR.
Huber: Was hat das damit zu tun? Da haben sie doch dauernd Broiler gegessen oder was? Vielleicht gab es in der DDR keinen Matjes und es handelt sich um ein Jahrzehnte altes Trauma, das durch den Kantinenbesuch wieder hervorgerufen wurde. Die Stasi im Hering sozusagen. Wie isst man denn nun Matjes?
Hansen: Na, mit saurer Sahne oder Joghurt. Äpfeln, Zwiebeln und auf jeden Fall Kartoffeln. Brat- oder Pellkartoffeln. Jedenfalls bei uns in Lübeck. Schon Reis ginge nicht. Und Couscous ist unvorstellbar.“
Huber: Wobei wir wieder bei meiner Essenseinladung wären.
Hansen: Jetzt bleiben Sie doch mal beim Thema, Huber. Der Patient wurde zu uns gebracht, hat mehrere Tische und Stühle zertrümmert und immerzu „Matjes“ und „Kuss, Kuss“ oder meinetwegen auch „Couscous“ geschrien. Außerdem ein paar Mal „Spiekeroog“, einmal „Oldenburg“ und etwas hundert Mal „Scheiße“.
Huber: Okay, also der ganz normale Wahnsinn. Ausgelöst durch Matjes, Couscous, beziehungsweise zu vieles Küssen.
Er sieht Doktor Hansen an und zwinkert ihr zu. Der Oldenburger Stadtschreiber seufzt leise.