Von Eros nach Oldenburg

geschrieben am 12.09.2011

2011_09_12_Bild1_grossDer Meteorit „Oldenburg“ landete nicht direkt in Oldenburg, sondern etwa zwanzig Kilometer nördlich davon und zwar vorgestern vor einundachtzig Jahren am frühen Nachmittag und zwar nur wenige Meter neben dem Schäfer Clemens Bley. Und wahrscheinlich kann man nur schwerlich von „Landung“ sprechen, das klingt viel zu sanft: es gab einen lauten Knall, als der Meteorit in der Luft zerbrach, dann ein Pfeifen, ein Sausen, ein Sirren, bis sich der Weltraumstein einen halben Meter tief in die Erde grub, und Clemens Bley nach Luft schnappte.

Im Internet finden sich keine Bilder vom Meteoriten “Oldenburg“, aber man kann davon ausgehen, dass er genau so aussah, wie alle anderen seiner Art: körnig mit einer schwarzen Kruste, gleichermaßen fremd wie unspektakulär, von Weitem konnte man ihn leicht mit einer verbrannten Roggenbrothälfte verwechseln.

Natürlich nahm Clemens Bley den Meteoriten mit nach Hause, auch wenn er nichts mit ihm anzufangen wusste. Außer für Naturwissenschaftler ist so ein Meteorit nicht besonders nützlich und darüber hinaus auch nicht besonders dekorativ. Clemens Bley legte ihn auf den Tisch und betrachtete ihn argwöhnisch, so als ob der Stein jede Sekunde wieder anfangen könnte zu pfeifen und zu sirren oder sogar zu sprechen, in einer bedrohlich unverständlichen Sprache, als ob der Stein etwas von ihm fordern würde.

Millionen von Jahren war der Meteorit unterwegs gewesen, nachdem er vom Asteroiden Eros abgesprengt worden war, er flog mit einer Geschwindigkeit von 70 km pro Sekunde durch den Weltraum, kreuzte schließlich die Umlaufbahn der Erde, stürzte ab, um dann genau neben Clemens Bley zu landen. Das war das Ziel seiner Reise. Das war das Ende von etwas, das vor Abermillionen Jahren begann. Und das musste doch etwas bedeuten, fand Clemens Bley. Das musste doch sein Leben ändern. Das war doch eine Botschaft. Aber „Oldenburg“ sagte nichts, er pfiff nicht, er sirrte nicht, er lag nur da, auf dem Tisch, und am nächsten Morgen lag er immer noch da, und am übernächsten auch, und nichts änderte sich, gar nichts änderte sich, und Clemens Bley sah ihn immer seltener an, er begann, sich dem Stein gegenüber schuldig zu fühlen, er begann, sich über ihn zu ärgern, über die Unverfrorenheit, sich so ungebeten und brachial in sein Leben gemischt zu haben, er beschimpfte den Stein, er beschimpfte sein Schweigen, er beschimpfte seine Sturheit, er beschimpfte die Wahrscheinlichkeit und den Weltraum und Erdanziehungskraft, und als der Lehrer Konrad Meyer ihn irgendwann fragte, ob er ihm den Meteoriten verkaufen würde, zögerte er nicht lange. Er nahm das Geld, viel war es nicht, und gab es schnell aus. Ein paar Wochen später wusste er schon nicht mehr, wofür. Er wollte mit all dem nichts mehr zu tun haben.