Wundes Ich [ 15 ]

Wenn ich nicht ich selbst wäre und mich kennen lernen würde, irgendwo, im Sportverein oder am Tresen, ich würde mich nicht mögen. Ich würde mich niemals mit mir treffen wollen. Ich würde mir aus dem Weg gehen, Blicke vermeiden. Ich mag den Typen nicht, der ich bin. Brauche ich deshalb eine Therapie? Wahrscheinlich, oder?

Das Problem ist, dass ich keinen Bock habe, so viel Zeit aufzubringen für diesen unsympathischen Typen, der ich bin. Therapie, das ist wahrscheinlich entweder einfach nur nervig (wenn man es nicht ernst nimmt und absitzt, wie Fahrschultheoriestunden), oder es macht tierisch Arbeit (wenn man sich drauf einlässt), man muss denken, fragen, heulen, leiden und viel Zeit investieren. Zeit, die man nur mit sich selbst verbringt, mit diesem bekackten Typen. Das würde ich nicht aushalten.

Ich bin jetzt schon dermaßen von mir angestrengt. Erst seit ich arbeite, bin ich mir erträglich geworden. Wenn ich arbeite, wenn ich tue, schaffe, dann ist es, als passte ich in mich hinein, würde etwas mich ausfüllen, das mir nicht zuwider oder wenigstens suspekt ist. Wenn ich arbeite, verstelle ich mich nicht, sitze ich einfach in mir drin und etwas geschieht wie aus mir selbst heraus. Es tut nicht weh, fühlt sich nicht falsch, verlogen und verstellt an. Arbeit und die vergangenen Momente mit Rieke sind die unverstellten Strecken. Abschnitte, in denen ich war und nicht so tat, als ob. In denen ich sein konnte, ohne strategischen Hintergedanken (und sei es nur, dass mir im Restaurant nicht auf die Pizza gerotzt wird, ich also ein Mindestmaß an Höflichkeit bereithalte für das Servicepersonal). Das ist der Sinn meiner sinnlosen, wahnwitzigen Arbeit: sie gibt dem diesem Ich genannten Wust einen Ort, sie ist mir ein Ventil, sie ist wie Schlaf für meinen müden Geist. Arbeit als Rekreation für ein wundes Ich.