Der letzte schöne Herbsttag

geschrieben am 24.09.2011

2011_09_24_Bild1_grossDer Herbst macht mich immer nervös. Jedenfalls dieser erste Teil des Herbstes, der so außerordentlich schön und so außerordentlich kurz ist, dass ich die ganze Zeit herumlaufen muss, um ja nichts davon zu verpassen. Ich hetze in den letzten Sonneresten durch die sich färbenden Blätter und alles ist malerisch, nur ich störe das Malerische durch mein Gehetze, durch meine Unfähigkeit, irgendetwas davon zu genießen, aus Angst davor, es nicht ausreichend genossen zu haben, bevor es vorbei geht, und dann fällt mir auf, dass ich dieses Gefühl nicht nur dem Herbst sondern dem ganzen Leben gegenüber empfinde, und es ist ganz vorbei mit dem Genießen.

2011_09_24_Bild2_grossDann flüchte ich schnell ins Internet, das mit Vergänglichkeit wenig am Hut hat. Bei Google Earth scheint immer Sommer in Oldenburg zu sein, die Bäume sind beständig grün, die Häuser werfen klare Schatten, und wenn man einen schönen Herbsttag möchte, dann klickt man sich durch die Dutzende von Benutzern eingefügten Fotos vom Schlossgarten oder dem Eversten Holz, denn auf den meisten von ihnen sind die Blätter verfärbt, und die übrigen zeigen klare verschneite Wintertage, erstes Knospen, Morgennebel oder eine laue Sommerstimmung, was man auch noch alles gelten lässt. 2011_09_24_Bild3_grossBis man irgendwann dem ganzen Malerischen nicht mehr ganz traut, bis man sich Nieselregen herbeiwünscht, Schneematsch, einen trüben Dienstagvormittag, all das, bei dem man nie Angst hat, es zu verpassen, all das, was nie festgehalten wird, weil es scheinbar genug davon gibt, aber bei den Fotos auf Google Earth gibt es ganz und gar nicht genug davon, da reiht sich Außergewöhnliches an Außergewöhnliches, bis es einfach nicht mehr außergewöhnlich ist. Und dann, ganz zum Schluss, finde ich es doch: Ein Bild vom Nordeingang zum Eversten Holz, Regentropfen in einer ausufernden Pfütze, ein prosaisches Straßenschild, schlammiger Boden. Und ich komme endlich endlich zur Ruhe.

Tag rund ums Pferd

geschrieben am 25.09.2011

2011_09_25_Bild1_kleinEin „Tag rund ums Pferd“ kann kein verlorener Tag sein. Es gibt Dressurvorführungen, es gibt Kutschfahrten, es gibt Prominentenreiten. Es gibt einen Weltmeister im Voltigieren, es gibt einen Weltmeister im Ponyreiten, es gibt einen Vizeeuropameister im Striegeln. Alles voller Mädchenträume, voller Cowboyfantasien, Hufgeklapper, überall die Pferdetransporter und Vollpolyhänger und weiße Hosen. Es wird gewiehert und geäpfelt, es wird geschnaubt, sich aufgebäumt, vom Galopp in den Trab gewechselt, in den Schritt und zurück. Der Tag legt sich ums Pferd, einmal rum, er schmiegt sich an die Flanke des Tiers, das laut schlagende Herz, die stets so erschrocken aufgerissenen Augen, der Tag flüstert dem Pferd etwas zu, was ich nicht verstehe, was ich nicht zu verstehen brauche. Es ist nicht für mich bestimmt. Sie verstehen sich, der Tag und das Pferd, in der Pferdestadt, die keine Reiterstandbilder braucht. Ich halte Abstand, reihe mich in die Schlange vor Eisenhauers Fisch-Imbiss, zu den handlicheren Tieren.

Ins Auge des Sturms

geschrieben am 28.09.2011

2011_09_28_Bild1_grossAlle kommen aus Oldenburg. Oder aus der unmittelbaren Nähe. Oder haben in Oldenburg studiert. Oder kennen jemanden, der aus Oldenburg kommt oder da studiert hat oder mal in der Mensa gegessen hat. Alle haben eine Tante von dort oder eine Stiefcousine oder zumindest eine Jacke, und alle treffe ich gerade täglich Früher kannte ich niemanden, der irgendetwas mit Oldenburg zu tun hatte, .2011_09_28_Bild2_grossund nun kenne ich niemanden mehr, der nichts mit Oldenburg zu tun hat. Plötzlich heißen auch alle Kneipen „Oldenburger Klause“ oder „Oldenburger Stuben“ oder „Chez Oldenbourg“, alle Straßen werden nach Oldenburg benannt, weltweit, und alle Züge, alle Busse fahren dorthin oder kommen gerade daher. Alles ist Oldenburg, oder war es oder wird es sein. 2011_09_28_Bild3_grossKein anderes Wort ist mir in den letzten Monaten so häufig untergekommen, Oldenburg überdeckt alles, es gibt einen Rettungsschirm für Oldenburg, Oldenburg wird in Algerien vermutet, Oldenburg bewegt sich schneller als das Licht, Oldenburg tritt wegen Burn-out zurück. Es hilft nur eines: Ich muss mich ins Auge des Sturms bewegen, hinein in den Oldenburger Alltag, wo es kein Thema ist, nur Kulisse.

Der Kohlkönig winkt

geschrieben am 02.10.2011

2011_10_02_Bild1_grossIch sitze in der Kutsche neben dem Kohlkönig. Hinter uns reitet Graf Anton Günther, dahinter die 140 Gruppen, darunter die Tischlerinnung, die Oldtimer Interessengemeinschaft, die Börtebootfreunde. Es regnet unaufhörlich Süßkram, allein mehr als sechs Tonnen Sahne-Bonbons, kaum jemand hebt sie noch auf.

Der Kohlkönig winkt. Er winkt schon seit ein halber Stunde. Sein Lächeln ist echt. Er hatte es nicht leicht gehabt in den letzten Wochen, den letzten Monaten. Von ihm aus könnte er noch Stunden weiter winken, noch tagelang. Nichts gelang ihm in letzter Zeit so gut wie das. Das Winken beruhigt ihn, hin und her, hin und her, hin und her, an hunderttausend Menschen vorbei, die freundlich schauen, die fotografieren, die sogar zurückwinken. Er denkt nicht viel beim Winken, endlich einmal hört das Denken auf, das Zweifeln, das Sorgen, nur die kurze Verlockung, seine Krone im nächsten Jahr einfach nicht wieder abzugeben, sich zum Kohlkönig auf Lebenszeit auszurufen. Er ist noch jung, es gäbe noch Dutzende von diesen Kutschfahrten, abertausende Hins und abertausende Hers. Er gäbe sein Leben lang einen Tag im Jahr, an dem er ganz sicher glücklich wäre. Manchmal ist das viel.

In Oldenburger Stadtteilen. Heute: Alexandersfeld

geschrieben am 05.10.2011

2011_10_05_Bild1_grossIch biege ab in den Mümmelmannsweg, weil man immer in einen Mümmelmannsweg abbiegen sollte, wenn man Gelegenheit dazu hat. Der Mümmelmannsweg ist menschenleer. Es gibt hohe Nadelbäume, tiefe Jägerzäune, Büsche, Hecken, so etwas. Ganz hinten parken zwei Autos und ganz vorne parkt ein Hund. Ich habe zuvor noch nie einen parkenden Hund gesehen. Auch ihm scheint die ganze Sache ein wenig peinlich. Als er meinen verwunderten Blick bemerkt, tut er so, als würde er gar nicht parken, sondern einfach zufällig und freiwillig dort am Straßenrand stehen, als ob er eine Wahl hätte, und die Wahl nun einmal auf genau diese Stelle gefallen sei. Er hechelt kurz im Leerlauf und hofft inständig, dass nicht ausgerechnet jetzt sein Besitzer aus dem Haus kommt, um ihn umzuparken oder gar zu waschen. Ich hoffe das mit ihm. „Braver Hund“, sage ich, und er blickt mich an, ich glaube dankbar.