Dieses großartige Funktionieren [ 40 ]

Seine Knochen sind reif für die Sonne. Ich habe sie gekocht, geschabt, gebürstet, gekühlt und gespült. Noch bleichen sie in einer großen roten Plastikwanne in Watte und Wasserstoffperoxid. Dann lege ich sie zum Trocknen in die Sonne. Einzeln, Stück für Stück breite ich Aufsichtsrats Knochen auf dem Rasen im Garten aus, zwanzig Quadratmeter Knochen, bei jedem Knochen, den ich ablege, stelle ich mir die Position im Körper vor, im Kopf mache ich eine Skizze für den Aufbau.

Die Heinzelkäfer aasen sich durch vier Eichhörnchen, eine Elster und eine Katze. Ich liebe es, ihnen zuzusehen, stundenlang könnte ich nur dastehen und ihrem regen Treiben zusehen, ihrem funktionierenden Leben. Ich stehe hier und glotze wie andere ins Feuer, auf die See oder in eine Waschmaschine. Wie gut die Welt ineinanderpasst. Wie wunderschön ihre Ideen. Ich stehe und starre hinein in dieses großartige Funktionieren und ich fühle großes Glück. Wie eine Welle kommt es über mich. Kein Tässchen, keine Tasse und kein Becher. Eine Welle. Groß wie eine Wand, heiß und unbekannt. Es wühlt mich fast um, ich muss mich am Terrarium halten, ich denke, was für ein Geschenk, dass ich das erleben darf.

Ich werde Rieke an einen Ort schaffen, an dem sie sicher ist, an dem für sie gesorgt ist. Wo sie nicht auf dumme Gedanken kommt, wo ich sie schnell besuchen kann. Wo sie aber weit genug entfernt ist von hier, von Frauchen, von allem, was sie irritiert und ängstigt, auch wenn ich nicht verstehe, was das ist.
Und Frauchen? Brust auf. Träume raus. Zeit für Pläne. Ich werde ihr den Wohnblock zeigen. Sie wird sofort verstehen, was ich meine. Wenn jemand Träume dieser Größenordnung realisieren kann, dann wohl Frauchen.

Auf und zu und verloren [ 42 ]

Ja. Ein kleiner Bauch. Ich sehe ihr zu, starre wie hypnotisiert auf dieses kleine Bäuchlein, als könnte ich dort mehr entdecken, je länger ich hinsähe. Dort also wächst ihr Kind, formt sich ein Mensch, es ist unglaublich. Je länger ich darüber nachdenke, desto unfassbarer finde ich es. Dass dort Leben entsteht. Leben. Echtes Leben.
Rieke rotiert in ihrer kleinen Küche, ich höre es blubbern und knistern, es riecht nach Nudeln und Knoblauch. Ich sitze hier und trinke und rauche nicht, denn meine Schwester ist schwanger und da raucht man nicht, natürlich nicht. Ich komme gar nicht auf die Idee, ihr bei irgendwas zu helfen, ich kann mir jetzt schon denken, dass ich in ein paar Monaten ohnehin für alles zuständig sein werde, und lasse sie machen. Sie hat mich eingeladen, also sitze ich und starre auf ihren Bauch und trinke ein Glas Wein nach dem anderen. Sicher will Rieke irgendwas reden, dafür trinke ich mich in Stimmung und genieße die Ruhe, solange sie damit beschäftigt ist, zu kochen. Wie will ein Mensch, der es kaum schafft, ein paar Nudeln zu kochen, ohne darüber ins Schwitzen zu kommen, eigentlich Mutter sein. Wir werden sehen.

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Mutierst du jetzt? [ 43 ]

Einmal, mit acht, habe ich einen Jungen vergiftet.
Kleiner Spast aus der Straße, dumm wie frischer Schinken, zwei Jahre jünger als ich, hielt immer nach mir Ausschau, klebte mit seinem feisten Gesicht an der Küchenfensterscheibe und sobald ich vor die Tür kam, stand er bei mir, wollte mitmachen. Was auch immer. Und weil ich diesen hartnäckigen kleinen Mistsack nicht loswurde, habe ich ihn eben mitgenommen. Habe mir Schweinereien für ihn ausgedacht, die ganzen Sommerferien lang. Schickte ihn klauen, ließ ihn vor Haustüren kacken, ließ ihn einmal einen Briefkasten aufbrechen und die Beute in meinen Garten bringen. Solche Sachen. Lag abends im Bett und dachte mir neue Aufgaben für Dumpfback aus. Und am vorletzten Ferientag habe ich ihm eine Geschichte erzählt von einem Helden, der seine Kraft aus Pilzen bezieht und ich habe ihm gesagt, wenn er Superkräfte haben will, dann muss er wohl so viele Pilze fressen, wie nur möglich. Ich zeigte ihm die Pilze an den Bäumen, unter den Sträuchern und Bäumen am Waldrand und auf den Wiesen. Er verzog den Mund angewidert, aber er biss sich durch, stopfte sich voll. Gierig. Warum ich keine Pilze essen wolle. Weil ich nur sein Assistent sein würde. Batmans Robin sozusagen. Sherlocks Watson. Es gibt immer einen Helden und einen Typen daneben, der mit seiner Mickrigkeit den Helden erst so richtig groß macht. Wie im echten Leben. Mit vollen Händen stopfte er sich die Hüte in sein kleines, dummes Maul, kaute wenig, schluckte viel. Mit solcher Überzeugung, dass ich selbst bald anfing zu glauben, er könne zu einem Helden mutieren. Ich sah ihm in die Augen, gespannt, ob sie sich färbten, weiteten, verflüssigten, fühlte seine Hand, die Temperatur, genoss in mir drin die Macht. Da war es wieder: Leben und Tod. Ich brauchte nur ein paar Worte, konnte einen Menschen beenden. Unter all diesen Pilzen würde wohl wenigstens einer sein, der tödlich giftig war. „Spürst du schon die Veränderung?“, fragte ich ihn, „Mutierst du jetzt?“ Weiterlesen

Ich sehe mir ihr Zimmer an [ 44 ]

Es geht mich nichts an. Es kann mir egal sein. Aber das Stechen in der Brust will etwas anderes, es sagt mir: Alles was mein Leben betrifft, geht mich etwas an und diese Frau, dieser Moment, diese Situation, dieses Projekt, das alles bin ich, sind Teile von mir, das ist mein Leben, natürlich geht es mich etwas an.Meine Finger fahren den Spalt zwischen Tür und Zarge entlang und ich möchte mit der Nase daran entlangfahren, die Luft von drüben, von drinnen, von draußen, aus Frauchens Welt riechen, atmen, in mich hineinziehen, durch den Schlitz gierig in mich hineintanken, mich vollmachen, die ganze Brust mit Frauchens Luft.
Ich kenne das Erdgeschoss, einen Teil des Kellers und die zweieinhalb Zimmer unter dem Dach, Riekes Wohnung. Zweieinhalb Stockwerke sind mir komplett unbekannt. Riesige Areale müssen das sein, ich habe keine Ahnung, was hinter diesen Türen geschieht oder wie es dort aussieht. Gruber muss hinter einer der Türen wohnen. Aber was macht Frauchen mit all dem Raum? Die Türen sind mit einem Code gesichert, mir unzugänglich.

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