Oldenburger Handwerkskunst

geschrieben am 21.12.2011

2011_12_21_Bild1_kleinHeute fühle ich mich kaum dazu angehalten, etwas über Oldenburg zu schreiben, weil es so viele andere schon getan haben: Zuerst las ich über den Oldenburger Mauerbau auf sueddeutsche.de, etwas später dann auf Spiegel Online, und Google News erklärte mir, dass auch noch elf weitere Nachrichtenorgane darüber berichtet haben.

So prominent war Oldenburg zumindest im letzten halben Jahr nicht in den Medien gewesen, nicht einmal bei den rekordverdächtigen Hagelkörnern Ende August. Und ich will auch gar nicht unterstellen, dass sich hinter der Einmaueraktion in Wahrheit das Stadtmarketing verbirgt. Aber es ist allemal auffällig: In der Stadt der Wissenschaft, der Zukunftstechnologie und der Dynamik gelingt es ausgerechnet dem altgedienten und soliden Maurerhandwerk, eine republikweite Aufmerksamkeit zu erringen. So einfach kann es manchmal sein. Passend zur Weihnachtszeit besinnt man sich wieder auf das Einfache, das Schlichte, und vielleicht ja auch bald noch auf andere oft übersehene Handwerkskünste. Beispielsweise das Tortenbacken.

Von hier aus

geschrieben am 24.12.2011

2011_12_24_bild_grossDer Lambertimarkt ist abgebaut, die letzten Geschenke sind besorgt, ganz Oldenburg leuchtet festlich. Fast vollkommen still ist es auf einmal. Man hört nur das Schlagen von Kinderherzen, das leise Klirren der Christbaumkugeln, das Seufzen, wenn die Besinnlichkeit einsetzt.

Und dann, tatsächlich, fängt es an zu schneien. In Oldenburg selbst merkt man davon vielleicht nichts, aber von hier, in der Distanz, kann ich es gut erkennen. Dicke, flauschige Flocken bedecken die Dächer, die Straßen, die zugefrorene Hunte, hüllen alles ein. Und als erstes sind es natürlich die Kinder, die hinauseilen, um die Pracht zu bewundern, aber nach und nach folgen ihnen alle, restlos alle, bis ganz Oldenburg auf der Straße steht und schaut und staunt und lächelt.

Ich weiß nicht, wer mit dem Singen beginnt, das ist auch ganz gleichgültig, ein klares Stimmchen ist es, das da „Stille Nacht“ erklingen lässt. Es bleibt nicht lang allein, schon bald stimmen alle mit ein, fassen sich an den Händen und singen Strophe für Strophe. Denkmalgegner Hand in Hand mit Denkmalbefürwortern, Autofreier-Sonntag-Zweifler mit Autofreier-Sonntag-Fordernden, Übermorgige mit Vorgestrigen. Alle stehen sie da, im Singen vereint, ein berührender Anblick ist das, wirklich, das kann ich von hier aus gut sehen. Ich sehe den Glanz in den Augen, ich sehe das Leuchten der Herzen, ich sehe das leichte Zittern, wenn sich das Lied langsam dem Ende zuneigt, weil niemand will, dass es aufhört, und doch alle wissen, dass es das bald tut. Aber noch nicht, ein paar Sekunden lang noch nicht.

Um nicht beim Thema zu bleiben

geschrieben am 27.12.2011

2011_12_27_Bild1_grossIn einem virtuellen Wohnsitz gibt es wenig zu packen, ich muss keine Nachsendeaufträge stellen, keine Wohnung abnehmen lassen, die Abschiedsparty findet im engsten Kreis statt.

Ein virtueller Wohnsitz verschwindet einfach, und ich habe keine Ahnung, welche Spuren zurückbleiben werden, denn in diesen sechs Monaten war Oldenburg für mich nie sichtbar, aber immer präsent. Oldenburg war ein halbes Jahr lang Anregung und Quelle, es war Arbeit und Fluchtpunkt, es war Bürde und Routine. Oldenburg war für mich eine Fundgrube, eine Parallelwelt, Grund für Ärger und für diebische Freude. Es war manchmal zu klein und manchmal zu groß, es war eine Geschichte, in die ich mittendrin für ein paar Seiten einstieg, ohne Anfang und Ende zu kennen. Und vor allem war es Thema. Ein Thema, das ich unbedingt verfehlen wollte, weil mir aus der Distanz nichts anderes übrig blieb. Das schien mir erst einfach. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass man auch beim Verfehlen immer wieder genau zielen muss. Ich hatte nicht bedacht, dass man ein Thema erst einmal etwas kennen muss, um es zu verfehlen.

Und so kam mir alles doch viel näher. Ich habe mich mit Ecken und Seiten der Stadt beschäftigt, die mir nie aufgefallen wären, wenn ich vor Ort gewesen wäre. Ich habe die Lokalnachrichten verfolgt, wie ich sie in all den Städten, in denen ich wirklich wohnhaft war, nie verfolgt habe. Es gibt diesen ungeordneten Haufen von willkürlichen Informationen, Eindrücken und Namen, die nichts mit meinem sonstigen Leben zu tun haben, die nun ohne Kontext in meinem Bewusstsein herumschweben, Dutzende von kleinen Fremdkörpern, so wie auch Oldenburg insgesamt ein Fremdkörper für mich blieb, denn auch wenn ich mittlerweile mehr über die Stadt weiß als über die allermeisten anderen Städte der Welt, so kann ich natürlich trotzdem nicht sagen, Oldenburg zu kennen. Das überrascht mich nicht und wäre ja auch gelacht. Ein Thema kennt man schließlich nicht wirklich besser, je länger man sich mit ihm beschäftigt. Es wird lediglich größer, schwieriger zu verfehlen.

Von Weitem

geschrieben am 31.12.2011

2011_12_31_Bild1_grossWenn man mit Google Earth Oldenburg verlässt, wenn das kleine Fadenkreuz alles einsaugt: die Verkehrsinsel, den Bootsverleih, das Schloss, die Häuserdächer, die Hunte. Wenn die Piktogramme hektisch wie Fehlermeldungen überall aufblinken und schließlich ganz verschwinden, wenn die Städte verschwinden, die Felder verschwinden, wenn sich die Kontinente zusammenziehen. Wenn man dann schließlich im Weltraum schwebt, Auge in Auge mit dem Erdball, wenn die Sterne leuchten, wenn diese Ruhe einsetzt, diese schwere Ruhe, wenn man die Augen etwas zusammenkneift, kann man irgendwo im Norden von Mitteleuropa eine Rakete aufsteigen sehen. Kein Raumschiff, kein Spaceshuttle, eine einfache Silversterrakete, die ein paar Meter auf einen zufliegt und dann mit einem kleinen Funkenregen erlischt. Und wenn man die Augen noch ein wenig fester zusammen kneift, kann man auch denjenigen sehen, der sie abgefeuert hat. Man kann sehen, dass er auf der leerretuschierten Kreuzung Schlosswall Ecke Damm steht, kann man sehen, dass er in den Himmel blickt, dass er winkt, dass er aus Leibeskräften winkt, man kann sehen, dass ich das bin. Man kann sehen, wie ich auf und ab springe, man kann sehen, wie ich mit jedem Sprung tiefer in der Kreuzung verschwinde, wie sie mich verschluckt, wie nur noch mein Oberkörper herausragt, nur noch mein Kopf, nur noch meine winkende Hand, die Fingerspitzen. Dann kann man die Augen wieder öffnen.