geschrieben am 27.12.2011
In einem virtuellen Wohnsitz gibt es wenig zu packen, ich muss keine Nachsendeaufträge stellen, keine Wohnung abnehmen lassen, die Abschiedsparty findet im engsten Kreis statt.
Ein virtueller Wohnsitz verschwindet einfach, und ich habe keine Ahnung, welche Spuren zurückbleiben werden, denn in diesen sechs Monaten war Oldenburg für mich nie sichtbar, aber immer präsent. Oldenburg war ein halbes Jahr lang Anregung und Quelle, es war Arbeit und Fluchtpunkt, es war Bürde und Routine. Oldenburg war für mich eine Fundgrube, eine Parallelwelt, Grund für Ärger und für diebische Freude. Es war manchmal zu klein und manchmal zu groß, es war eine Geschichte, in die ich mittendrin für ein paar Seiten einstieg, ohne Anfang und Ende zu kennen. Und vor allem war es Thema. Ein Thema, das ich unbedingt verfehlen wollte, weil mir aus der Distanz nichts anderes übrig blieb. Das schien mir erst einfach. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass man auch beim Verfehlen immer wieder genau zielen muss. Ich hatte nicht bedacht, dass man ein Thema erst einmal etwas kennen muss, um es zu verfehlen.
Und so kam mir alles doch viel näher. Ich habe mich mit Ecken und Seiten der Stadt beschäftigt, die mir nie aufgefallen wären, wenn ich vor Ort gewesen wäre. Ich habe die Lokalnachrichten verfolgt, wie ich sie in all den Städten, in denen ich wirklich wohnhaft war, nie verfolgt habe. Es gibt diesen ungeordneten Haufen von willkürlichen Informationen, Eindrücken und Namen, die nichts mit meinem sonstigen Leben zu tun haben, die nun ohne Kontext in meinem Bewusstsein herumschweben, Dutzende von kleinen Fremdkörpern, so wie auch Oldenburg insgesamt ein Fremdkörper für mich blieb, denn auch wenn ich mittlerweile mehr über die Stadt weiß als über die allermeisten anderen Städte der Welt, so kann ich natürlich trotzdem nicht sagen, Oldenburg zu kennen. Das überrascht mich nicht und wäre ja auch gelacht. Ein Thema kennt man schließlich nicht wirklich besser, je länger man sich mit ihm beschäftigt. Es wird lediglich größer, schwieriger zu verfehlen.