Tag rund ums Pferd

geschrieben am 25.09.2011

2011_09_25_Bild1_kleinEin „Tag rund ums Pferd“ kann kein verlorener Tag sein. Es gibt Dressurvorführungen, es gibt Kutschfahrten, es gibt Prominentenreiten. Es gibt einen Weltmeister im Voltigieren, es gibt einen Weltmeister im Ponyreiten, es gibt einen Vizeeuropameister im Striegeln. Alles voller Mädchenträume, voller Cowboyfantasien, Hufgeklapper, überall die Pferdetransporter und Vollpolyhänger und weiße Hosen. Es wird gewiehert und geäpfelt, es wird geschnaubt, sich aufgebäumt, vom Galopp in den Trab gewechselt, in den Schritt und zurück. Der Tag legt sich ums Pferd, einmal rum, er schmiegt sich an die Flanke des Tiers, das laut schlagende Herz, die stets so erschrocken aufgerissenen Augen, der Tag flüstert dem Pferd etwas zu, was ich nicht verstehe, was ich nicht zu verstehen brauche. Es ist nicht für mich bestimmt. Sie verstehen sich, der Tag und das Pferd, in der Pferdestadt, die keine Reiterstandbilder braucht. Ich halte Abstand, reihe mich in die Schlange vor Eisenhauers Fisch-Imbiss, zu den handlicheren Tieren.

Ins Auge des Sturms

geschrieben am 28.09.2011

2011_09_28_Bild1_grossAlle kommen aus Oldenburg. Oder aus der unmittelbaren Nähe. Oder haben in Oldenburg studiert. Oder kennen jemanden, der aus Oldenburg kommt oder da studiert hat oder mal in der Mensa gegessen hat. Alle haben eine Tante von dort oder eine Stiefcousine oder zumindest eine Jacke, und alle treffe ich gerade täglich Früher kannte ich niemanden, der irgendetwas mit Oldenburg zu tun hatte, .2011_09_28_Bild2_grossund nun kenne ich niemanden mehr, der nichts mit Oldenburg zu tun hat. Plötzlich heißen auch alle Kneipen „Oldenburger Klause“ oder „Oldenburger Stuben“ oder „Chez Oldenbourg“, alle Straßen werden nach Oldenburg benannt, weltweit, und alle Züge, alle Busse fahren dorthin oder kommen gerade daher. Alles ist Oldenburg, oder war es oder wird es sein. 2011_09_28_Bild3_grossKein anderes Wort ist mir in den letzten Monaten so häufig untergekommen, Oldenburg überdeckt alles, es gibt einen Rettungsschirm für Oldenburg, Oldenburg wird in Algerien vermutet, Oldenburg bewegt sich schneller als das Licht, Oldenburg tritt wegen Burn-out zurück. Es hilft nur eines: Ich muss mich ins Auge des Sturms bewegen, hinein in den Oldenburger Alltag, wo es kein Thema ist, nur Kulisse.

Der Kohlkönig winkt

geschrieben am 02.10.2011

2011_10_02_Bild1_grossIch sitze in der Kutsche neben dem Kohlkönig. Hinter uns reitet Graf Anton Günther, dahinter die 140 Gruppen, darunter die Tischlerinnung, die Oldtimer Interessengemeinschaft, die Börtebootfreunde. Es regnet unaufhörlich Süßkram, allein mehr als sechs Tonnen Sahne-Bonbons, kaum jemand hebt sie noch auf.

Der Kohlkönig winkt. Er winkt schon seit ein halber Stunde. Sein Lächeln ist echt. Er hatte es nicht leicht gehabt in den letzten Wochen, den letzten Monaten. Von ihm aus könnte er noch Stunden weiter winken, noch tagelang. Nichts gelang ihm in letzter Zeit so gut wie das. Das Winken beruhigt ihn, hin und her, hin und her, hin und her, an hunderttausend Menschen vorbei, die freundlich schauen, die fotografieren, die sogar zurückwinken. Er denkt nicht viel beim Winken, endlich einmal hört das Denken auf, das Zweifeln, das Sorgen, nur die kurze Verlockung, seine Krone im nächsten Jahr einfach nicht wieder abzugeben, sich zum Kohlkönig auf Lebenszeit auszurufen. Er ist noch jung, es gäbe noch Dutzende von diesen Kutschfahrten, abertausende Hins und abertausende Hers. Er gäbe sein Leben lang einen Tag im Jahr, an dem er ganz sicher glücklich wäre. Manchmal ist das viel.

In Oldenburger Stadtteilen. Heute: Alexandersfeld

geschrieben am 05.10.2011

2011_10_05_Bild1_grossIch biege ab in den Mümmelmannsweg, weil man immer in einen Mümmelmannsweg abbiegen sollte, wenn man Gelegenheit dazu hat. Der Mümmelmannsweg ist menschenleer. Es gibt hohe Nadelbäume, tiefe Jägerzäune, Büsche, Hecken, so etwas. Ganz hinten parken zwei Autos und ganz vorne parkt ein Hund. Ich habe zuvor noch nie einen parkenden Hund gesehen. Auch ihm scheint die ganze Sache ein wenig peinlich. Als er meinen verwunderten Blick bemerkt, tut er so, als würde er gar nicht parken, sondern einfach zufällig und freiwillig dort am Straßenrand stehen, als ob er eine Wahl hätte, und die Wahl nun einmal auf genau diese Stelle gefallen sei. Er hechelt kurz im Leerlauf und hofft inständig, dass nicht ausgerechnet jetzt sein Besitzer aus dem Haus kommt, um ihn umzuparken oder gar zu waschen. Ich hoffe das mit ihm. „Braver Hund“, sage ich, und er blickt mich an, ich glaube dankbar.

In den Oldenburger Stadtteilen. Heute: Der einsame Baum von Bloherfelde

geschrieben am 09.10.2011

2011_10_09_Bild1_gross„Wir kommen gleich zurück“, hatten die anderen Bäume des ehemaligen Bloherfelder Waldes gesagt. „Wirklich“, hatten sie gesagt, „wir müssen nur schnell etwas besorgen.“ Und der einsame Baum hatte genickt. „Bis gleich“, hatte er gerufen und ihnen nachgeschaut und mit den Zweigen gewunken. Die anderen Bäume winkten nicht zurück.

Das war nun vor über dreißig Jahren. Es geht ihm recht gut. Er mag den Platz, er mag die Aussicht, er mag es, einen Schatten zu werfen. Nur wenn wieder der Herbst kommt, wenn der Wind durch die kahlen Äste pfeift, hofft er manchmal, dass die anderen doch nur schnell etwas besorgen mussten, dass es halt etwas schwieriger aufzutreiben gewesen war, aber nun hätten sie es besorgt, und seien schon auf dem Rückweg, rennend und lachend und ungeduldig. „Entschuldige bitte die Verspätung“, würden sie sagen, wenn sie sich, noch ganz außer Atem, wieder zu ihm stellen, ihn in ihre Mitte nehmen. „Du glaubst nicht, was uns alles passiert ist“.