2. Besuch der Erftenmoder: Hinein

Vor der Tür steht die Erftenmoder. Ich schaue durchs Guckloch und erkenne sie ohne Zweifel. Ich erkenne die Erftenmoder, weil sie irgendwie viktorianisch aussieht, ein schwarzes hochgeschlossenes Kleid trägt, das sicher raschelt, wenn sie sich bewegt, und ihre bleiche Haut leicht ins Grünliche spielt. Nur ihre Augen, die hart und hellgrün wie kleine Erbsen sind, überraschen mich.
Die Erftenmoder steht sehr still und schaut mich durch das Guckloch an. Ich bin sicher, dass sie genau weiß, dass ich da bin. Vielleicht sollte ich einfach nicht aufmachen, denke ich, weiß aber schon, dass ich doch aufmachen werde. Mir bleibt nichts anderes übrig. Wie soll ich sonst je etwas über die Erftenmoder, die Mutter aller Erbsen herausfinden?
Ich laufe schnell noch einmal in die Küche, hole das Brotmesser aus der Schublade und verstecke es unter meiner Jacke, bevor ich die Tür öffne.

Die Erftenmoder schiebt sich an mir vorbei. Schon durch das Guckloch hat sie unheimlich ausgesehen, aber nun da keine Tür mehr schützend zwischen uns steht, muss ich feststellen, dass sie noch viel unheimlicher ist als zunächst angenommen. Wenn sie so vor einem steht, ist sie überraschend groß. Und das ist bemerkenswert, denn ich selbst bin eine hochgewachsene Person, für meine Größe in meinem Kiez und vermutlich darüber hinausgehend bekannt.
Die Mutter aller Erbsen scheint keine Freundin von Begrüßungen oder überhaupt von Kommunikation zu sein. Schweigend schiebt sie sich an mir vorbei, schreitet durch die Wohnung, schlendert durch meinen langen Flur auf den Spiegel zu, betrachtete sich dort, dreht sich wieder zu mir um.
„Hier sind keine Kinder!“, sagte ich schnell, um dieses Missverständnis gleich aus dem Weg zu räumen. Falls die Erftenmoder bloß gekommen ist, um Kinder zu fassen, muss sie zur Nachbarin gehen. Der wird das vielleicht auch ganz gelegen kommen, weil sie sich ohnehin den ganzen Tag mit ihrer Tochter streitet und diese schon zwei Mal aus der Wohnung geworfen hat.
Einen Moment stehen die Erftenmoder und ich im dämmrigen Flur meiner Wohnung und sehen uns an. Es ist sehr still, und die Geräusche von draußen – vorbeifahrende Autos und das Lachen und Kreischen der Kinder auf dem Nachhauseweg – klingen mit einem Mal, als kämen sie aus größter Ferne.