9. Sackgasse Friedhof

Von meinen Gastgebern kann ich mir also keine Hilfe erwarten. Alles, womit sie dienen können, sind Einkaufstipps und die Empfehlung, „nicht zu außerhäusig zu leben.“ In Ordnung. Hatte ich sowieso nicht vor.
„Haha, als Schriftstellerin muss man ja auch aufs Geld gucken“, sagt Bruno.
„Haha“, sage ich.
Immer, wenn Bruno „Schriftstellerin“ sagt, dann sagt er es so, als ob das Wort eigentlich in Anführungszeichen steht.
„Als ‚Schriftstellerin‘ interessieren Sie sich natürlich für die alten Geschichten“, sagt er zum Beispiel. Oder: „Als ‚Schriftstellerin‘ wollen Sie bestimmt wissen, wo hier die Bibliothek ist.“
„Eigentlich nicht, ich schaue eher fern“, sage ich, weil ich Bruno die „Schriftstellerin“ heimzahlen will, aber er lacht bloß und schwenkt seinen Zeigefinger, wie um mir zu zeigen, dass er meine Scherze erkennt. Oder um mich zu warnen.

Am Nachmittag rufe ich meinen Bekannten an und frage ihn, ob er mir vielleicht ein paar unheimliche Orte in Oldenburg zeigen kann.
„Was meinst du? Was denn für unheimliche Ort?“, fragt mein Bekannter. „Wir haben hier einen Kaufland, da könnten wir hingehen.“
„Nein, nein“, sage ich schnell. Mein Bekannter ist einer, der nicht glaubt an Hexen und Nixen, an das Gespräch der Tiere und der Bäume. „Ich meine eher so einen Ort, an dem dir vielleicht Geister erscheinen. Untote. Sprechende Tiere wären auch gut. So was in der Art.“
Mein Bekannter schlägt den Friedhof vor. Dann, sagt er, kann er mir auch gleich die Geschichte von der Gertrudenlinde erzählen. Die steht dort nämlich.

Wenig später laufen mein Bekannter und ich über den Friedhof. Es ist furchtbar hell und furchtbar heiß, und nachdem wir eine Weile zwischen den Gräbern herumgewandert sind, finden wir eines, das heraussticht. Auf dem Grabstein ist ein Totenkopf abgebildet, was sehr unheimlich und vielversprechend ist. Aber dann stehen wir eine halbe Stunde vor dem Grabstein und nichts passiert.
Überhaupt nichts.
Das Grab öffnet sich nicht und niemand kommt hervor.
„Na toll“, sage ich. „Und was machen wir jetzt?“
„Jetzt gehen wir zur Gertrudenlinde“, sagt mein Bekannter.