20. Träumen von Herman Holmer (2)

Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich in einer Sackgasse wiederfinde, nicht weiter weiß, mich fühle, als hätte ich den einäugigen Fisch gefangen, der mich durch den Winter bringen soll, nur um ihn dann doch wieder in die Freiheit entlassen zu müssen. Der Mann auf dem motorisierten Gefährt mag mich überzeugt haben, dass das faunistische Artenspektrum hier in Oldenburg alles andere als eintönig ist, aber das hat uns auf unserer Suche nach dem schreiend Ding nicht weiter gebracht. Es ist an der Zeit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass wir dem schreiend Ding so schnell nicht begegnen werden, ja, dass es womöglich überhaupt kein schreiend Ding gibt.

Der Student schlägt vor, gleich am nächsten Nachmittag noch einmal in die Haarenniederung zurückzukehren und weiter nach dem schreiend Ding zu suchen, aber das geht so nicht, ich kann schlecht jeden Nachmittag im Gras sitzen, Rhabarberschorle trinken und auf das schreiend Ding lauern, solche Sachen macht man, wenn man Student ist, ich aber brauche Ergebnisse.
Abends bei Siggi und Bruno liege ich in meinem Bett, esse Gummibärchen und döse entmutigt vor mich hin, als mir plötzlich der Zigarrenhändler Hermann Holmer erscheint. Ein schwerer, blumiger Duft geht von ihm aus und umhüllt uns beide.
„Hast du mich ganz durchschaut?“, fragt Herman Holmer.
„Nein, ich kenne Sie ja gar nicht“, sage ich.
„Hast du bis auf den Grund der Dinge gesehen, bis in jeden staubigen Winkel?“
Ich zucke die Achseln, ich betrachte Herman Holmer genau. Wächst da eine Blume aus seinem rechten Ohr, recken sich da purpurrote Blütenblätter aus den dunklen Gängen in Herman Holmers Schädel der Welt entgegen?
„Es ist das andere“, sagt Herman Holmer, und dann pflückt er die Blume aus seinem Ohr, und die Blume ist keine Blume, sondern eine Zigarre, und Herman Holmer, Zigarrenhändler aus Oldenburg, nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch ins Zimmer, und der Rauch breitet sich aus und umhüllt uns wie schon zuvor der schwere Blumenduft, und dann sinke ich aus dem Traum in die Dunkelheit der Oldenburger Nacht.