Nordsee ist Mordsee

geschrieben am 05.06.2012

Wer Hark Bohms Film von 1975 gesehen hat, vergisst diesen Satz nicht mehr. Uwe sagt ihn da zu Dschingis, mit dem er abgehauen ist auf einem Floß. Und der eigentlich nur ein „Kanake“ für ihn ist, wegen seines asiatischen Aussehens. Weg wollen die Jungs mit ihrem selbstgebauten Floß, fliehen vor prügelnden Vätern und besorgten Müttern. Das Abenteuer lockt sie. Dann klauen sie ein Segelboot und fahren von Hamburg immer weiter die Elbe hinauf, die sie nicht erreichen, weil die Polizei ihnen auf den Fersen ist. Aber schon der Gedanke, den Dschingis äußert,  mit dem Boot auf die Nordsee zu fahren, lässt Uwe, der sonst kein Kind von Traurigkeit ist, erschaudern: „Mensch, Nordsee ist Mordsee.“ Jeder der den Film gesehen hat kann sich an diese Szene erinnern. Wie eine jahrhundertealte Ehrfurcht vor dem Meer in diesen Worten lag. Und ich saß da in Schwerin auf dem Sofa und habe mir den Film im Westfernsehen angesehen, irgendwann in den 80er Jahren. Er ist mir im Gedächtnis geblieben, dieser Satz und ich habe mich gefragt, wie sie wohl aussieht: Die Nordsee. Bei meiner kurzen Recherche im Internet bin ich noch auf ein schönes Friesenzitat in der Tageszeitung DIE WELT gestoßen: Der römische Geschichtsschreiber Plinius der Ältere empfand einst viel Mitleid für die Küstenbewohner der germanischen Nordsee. „Dort bewohnt ein beklagenswert armes Volk Erdhügel, die man so hoch aufgeworfen hat, wie erfahrungsgemäß die höchste Flut steigt“, heißt es in seinen Aufzeichnungen. Zum Trinken hätten sie nur Regenwasser – nicht einmal Wein. Und bei Flut ähnelten die Bewohner in ihren Hütten Seefahrern, bei Ebbe jedoch mehr den Schiffbrüchigen. Da hat sich doch zum Glück einiges geändert.