Die fehlenden 22,5 Prozent

geschrieben am 10.12.2011

Über das mit deiner Zufriedenheit, liebes Oldenburg, komme ich einfach nicht hinweg. Vielleicht liegt es daran, dass ich den Großteil meines Lebens in Unzufriedenheitshochburgen wie Bielefeld und Berlin gelebt habe, aber ebenso neidisch und ungläubig las ich gestern wieder einmal in deiner Zeitung, dass nirgendwo im Norden die Einwohner zufriedener seien als in dir, und das auch noch zu Recht, denn, wie die Überschrift mir verriet, bist du „die beste Stadt in Norddeutschland“.

Du bist nämlich gerade eben wieder einmal tüchtig gelobt worden, in einer groß angelegten Studie. Und ob sich ein Lob richtig gut anfühlt, wenn er unter anderem von eher zwielichtigen Bündnissen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ stammt, kann ich nicht beurteilen, denn mich loben die überraschenderweise nie.

Weniger überraschend ist es da aber, dass sich das Lob vor allem auf deine wirtschaftliche Dynamik bezog, und da sprechen wirklich harte Fakten für sich und für dich. „Doch was nützt die größte Dynamik, wenn die Zufriedenheit nicht stimmt?“ mahnt es dann auch gleich im Zeitungsartikel, um sofort Entwarnung zu geben: „Aber auch hier liegt Oldenburg an der Spitze. Beste Stadt im Norden, bundesweit Platz neun, sagt die Studie. 77,5 Prozent der Bürger bezeichnen sich als zufrieden.“

Da kann doch etwas nicht stimmen. Und vor allem, womit genau sind die Bürger denn zufrieden? Ruft da jemand an und fragt: „Sind Sie eigentlich zufrieden, Frau Sowieso?“, und Frau Sowieso sagt dann „Och ja, ich kann nicht klagen“, und dann wird ein Strich auf irgendeiner Liste gemacht?

Auf der Homepage der Wirtschaftswoche (dem anderen Auftragsgeber der Studie) bekomme ich eine erste Aufklärung, dort ist nur noch davon die Rede, dass „77,5 Prozent der Bürger mit der Infrastruktur in Oldenburg zufrieden [sind]“.

So, so die Infrastruktur. Was auch immer genau das sein mag. Also lese ich weiter, wühle mich tatsächlich durch die mümmelnde Prosa des Endberichts der Studie und finde endlich auf den Seiten 21 und 42 meine Antwort: Befragt nach ihrer Zufriedenheit wurden im Rahmen der Studie gar nicht die Bürger, sondern „rund 4.000 Unternehmen in den 50 größten deutschen Städten“.

Das beruhigt mich enorm. Und nicht nur, weil ich es verstörend gefunden hätte, wenn die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ an irgendeiner anderen Zufriedenheit interessiert gewesen wäre als die der Unternehmen, sondern auch, weil so das Gerücht von den 77,5 Prozent zufriedenen Bürgern in Oldenburg tatsächlich nicht stimmt. Wenn man die Bürger befragt hätte, läge die Zufriedenheit natürlich bei 100 Prozent.

Das hätte der Wirtschaftswoche und der Nordwestzeitung doch auch auffallen müssen.