geschrieben am 04.07.2011
Laut wetter.de ist es heute kühl und bedeckt hier in Oldenburg. Das ist nicht schlimm. Ich wollte von meiner Bastion auf der Verkehrsinsel aus ohnehin nur schnell über die Straße ins Schloss, also ins Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Das hat montags, wie es sich für ein Museum gehört, natürlich geschlossen, doch das stört mich als virtuellen Stadterkunder wenig. Im Internet kann ich die komplizierte Alarmanlage mühelos umgehen, dort kann ich mich zwischen den tanzenden Lichtsensoren hindurchschlängeln, mit vorbereitetem Bildmaterial die Überwachungskameras austricksen und mich dann in aller Ruhe in den leeren Sälen umschauen.
Die Dielen knarzen, es riecht nach Bohnerwachs und Acryl, der Schein meiner Taschenlampe fällt auf Schwebende Nymphen, auf schüchterne Porzellanfiguren, auf Amor und Psyche; er fällt auf den Knaben mit Vogel, auf das Mädchen mit Puppe auf das Selbstporträt mit roter Bluse, er tastet die ernsten Gesichter der Landesväter ab und bleibt dann schließlich hängen am Profil der Gräfin Sophia Katharina von Oldenburg, auf dieser beglückend würdevollen Hässlichkeit.
Das Porträt rührt mich ungeheuerlich: die baumelnde Quaste am Kopfschmuck, die Lockenborte auf der fliehenden Stirn, die Tränensäcke, das gleichsam stolze wie knubbelige Kinn – die Herzogin wirkt wie ein pubertätsgeplagter Teenager, der sich fürs Jahrbuchfoto besonders hübsch machen wollte und bei allem, wirklich allem die falsche Entscheidung traf.
Aber dann diese Hand, diese schmalen Finger, die fast verlegen mit der Brosche spielen. Die Hand passt so wenig zum Rest des Körpers, dass es so aussieht, als sei versehentlich die Hand eines Dienstmädchens mit aufs Bild gekommen, die ihrer Herrin noch in letzter Sekunde das Kleid richten wollte, und diese Vorstellung gefällt mir, ein Schnappschuss in Öl auf Holz.
Etwas weniger gerührt bin ich von der anderen Adeligen drüben im Prinzenpalais: Ameli Herzogin von Oldenburg, deren Aquarelle und Zeichnungen gerade in einer Sonderausstellung gezeigt werden. Wenn ich den Pressetext richtig verstehe, besteht ihre künstlerische Leistung darin, ungefähr zur selben Zeit geboren zu sein als die ersten Werke der Moderne Einzug ins Landesmuseum fanden. Ihren Bildern nach zu urteilen mag sie Blumen. Sonst erfährt man wenig über sie. Auch im Internet findet sich außer dieser Ausstellung fast nichts. Nur bei ebay. Dort wurde im März dieses Jahres ein handgeschriebener Brief der Herzogin versteigert, für 4,99 Euro. Es gab nur ein Gebot. Der Verkäufer des Briefes trägt den Mitgliedsnamen „hochadel“. Und wie schön wäre es, wenn sich dahinter Herzogin Ameli selbst verbergen würde, wenn sie sich abends regelmäßig an den Küchentisch setzen, dort ein paar Zeilen aufs Papier werfen und die dann bei ebay anbieten würde. Ich sehe sie in der Schlange bei der Post, den Umschlag mit ihrem ersteigerten Brief in der Hand, nur zwei Schalter sind geöffnet, vor ihr Menschen mit Paketen, mit Fragen zum Tagesgeldkonto, draußen Regen, der wartende Wochenendeinkauf, und all die Mühe für 4,99 Euro. Sie wird ein paar Blumen malen später, nimmt sie sich vor, zur Entspannung. Und das rührt mich nun doch noch.