Prolog

geschrieben am 29.06.2011

Wenn man  mit Google Earth Oldenburg anfliegt, wenn der blaue Planet auf einen zurast, wenn sich die Grenzen Europas abzeichnen, die Grenzen Deutschlands abzeichnen, wenn man dann unweigerlich auf diesen Punkt im Nordwesten zusteuert, die Landschaft grün wird, ländlich wird, wenn der Umriss der Stadt auftaucht, wenn man in sie hineinspringt, in das Gedränge von Häusern und Straßen, von Bäumen und Wasser, wenn die Piktogramme um einen herumtanzen, die Ansichtskarten und Kaffeetassen und Noten und Richterhämmer, wenn man mitten ins Zentrum all dessen gezogen wird, dann landet man auf einer Verkehrsinsel.

Hier, mitten auf dem Schlosswall, Ecke Damm, bestimmt Google Earth das Zentrum Oldenburgs. Und hier befinde ich mich nun in der Bodenansicht dieses Ortes, an dem alles kulminiert, von dem aus alles abzweigt, an dem alles seinen Anfang nimmt. Für mich ist diese Verkehrsinsel das erste, was von Oldenburg existiert. Und vielleicht stimmt das ja auch. Vielleicht ist die Verkehrsinsel das wahre historische Zentrum, vielleicht stand sie hier jahrzehntelang stolz und einsam in der Landschaft, bis man irgendwann den Schlosswall um sie herum baute, weil eine Verkehrsinsel ohne umliegende Straße auf Dauer ein Identitätsproblem bekam, und dann musste man schnell ein Schloss bauen, weil sonst der Name der Straße keinen Sinn ergäbe, und dann musste man jemanden finden, der in das Schloss einzieht (die Nebenkosten, die Nebenkosten), am besten einen Grafen, am besten einen Grafen mit dem Namen Anton Günther, weil der älteste Trakt des Schlosses doch schon nach ihm hieß, und dann musste man schnell Menschen finden, die dem Grafen mit seinen Nebenkosten helfen konnten, und man brauchte Häuser für die Menschen und Kirchen für die Postkarten und Brücken für die Postkarten, auf denen zur Abwechslung mal keine Kirchen sein sollten, und einen Fluss, der unter den Brücken durchfließen konnte, und junge Menschen, die malerisch in den Fluss schauen konnten, um sich dabei malerische Gedanken zu machen, und eine Universität, in der den jungen Menschen gesagt wurde, was für Gedanken sie sich machen konnten, und man brauchte eine Mannschaft für die schöne Sport- und Mehrzweckarena und Verbrecher für die schöne Justizvollzugsanstalt, und all das machte viel Arbeit.

Ein halbes Jahr lang werde ich mich nun als virtueller Stadtschreiber in den Ergebnissen dieser Arbeit herumtreiben, ich werde die Verkehrsinsel verlassen, vorsichtig den Schlosswall überqueren, ich schaue nach links, nach rechts.