Wirre Träume. Kalte Wohnung. Leerer Kühlschrank. Blauer Morgen. Die Milch flockt im Kaffee.
Croissant auf dem Spaziergang zur Werkstatt.
Ich bestelle Augen. Wälze Kataloge. Vergleiche Bilder. Wirklich gute Augen sind zwar teuer, aber am Auge darf man nicht sparen. Wenn das Auge nicht zum Ausdruck passt, dann ist das ganze Tier verpfuscht. Die Form muss stimmen, die Größe, auch die Größe der Pupille. Das sieht der Laie nicht, aber er spürt es. Die Leute sollen vor meinen Tieren stehen und denken: Ja. Das verstehe ich. So ist es gewesen. Das ist die Kunst. Darum kommen die Leute zu mir.
In der Mittagspause sitze ich mit Pizza (einfach, aber geil: Birne-Gorgonzola) im Park unter dem Krähenbaum. Morgen soll es richtig kalt werden. Die Vögel pöbeln in den Wipfeln. Zwischen Pizza und Zigaretten tippe ich mit kalten Fingern: „Leck mich. Ich helf dir nicht. Dein Problem.“
Weil ich Psychologe bin. Deshalb kommen die Leute zu mir. Weil ich nicht einfach nur Tiere ausstopfe. Weil ich mir die Menschen angucke, mit ihnen rede, weil ich dann weiß, wie sie sich an ihre Tiere erinnern wollen. Verspielt oder treu, devot, aggressiv oder kulleräugig. Als Beschützer, Begleiter, Soldat oder Baby. Danach modelliere ich die Pose, dann der richtige Ausdruck in den Augen und der Preis spielt keine Rolle. Für die meisten. Jäger sind knauserige Trophäensammler, aber reiche Menschen bezahlen gern für Kunst und sie bezahlen gern für ihr geliebtes Tier. Sie sind fast dankbar, wenn man ihnen mit einem saftigen Preis die Möglichkeit gibt, ihre Liebe und Großzügigkeit noch einmal zeigen zu dürfen.
Nachmittags noch einen Mops gemacht. Viel Flickerei, ziemlich zerfetzt, der kleine. Der tödliche Biss am Hals ist gar nicht mal das größte Problem. Am Bauch fehlt ein gutes Stück Haut. Natürlich hab ich Ersatz, aber die Nähte kann man nie ganz verschwinden lassen.
Mopskrankheit: überschätzen sich, vor allem ihre Größe, legen sich immer mit den falschen an.
Zuhause ist sogar das Knäckebrot vergammelt. Muss einkaufen. Altglas in den bekackten Koffer und los. Am Container will ich den Koffer nach dem Flascheneinwerfen einfach stehen lassen, aber dann kommt eine Mutter mit zwei Kindern und ich nehme ihn verdammt noch mal mit. Warum nicht mal mit Koffer einkaufen gehen? Zehn Cent für die Plastiktüte sparen, fuck jeah.
Stehe in der Schlange und gucke mir den Koffer genauer an. Liegt vor mir im Einkaufswagen und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, außen grünkohlschissgrün, innen braunes LSD-Muster. Riecht wie Opas Jackentasche.
Wo ich den wohl herhab, gibt’s den hier zu kaufen? Mama, geht der Onkel mit Koffer einkaufen? Guckt doch, ihr Deppen, das ist ein Witz, den ihr nur nicht versteht.
Die Kassiererin will in den Koffer gucken, bittesehr.
Und dann trag ich die Beute im Koffer nach Hause: Wein und Lachs und Nudeln. Käse, Brot und Mandarinensaft.
Sitze am Küchentisch und esse aus dem Koffer. Entdecke im Inneren einen roten Fleck. Siegellack? Drittes Glas Wein. Rauche jetzt drinnen. Ist schließlich meine Wohnung.
Das Universum schickt mir einen leeren Koffer, denke ich wieder und glotze aus dem Fenster. Passendes Bild vielleicht. Ganz gut gewählt. Durchaus poetisch in seiner Mickrigkeit.
Tippe: Danke für den Koffer, übrigens. Wir gewöhnen uns aneinander. Falls du mir damit irgendwas sagen wolltest – ich gebe mir keine Mühe, irgendwas zu verstehen.
Wie oft Verzeihen wohl eigentlich nicht Milde und Weisheit ist, sondern reine Faulheit?
Verzeihen eben nicht als große Geste, sondern als Nachgeben, Aufgeben. Als kein Bock mehr zu kämpfen. Verzeihen als Müdigkeit und sonst nichts.