Aufsichtsrats Reich [ 3 ]

Montagmorgen, Wecker um sieben, tiefschwarzer, verhangener Morgen, Erektion bis in die Küche. Warte in Unterhose auf den Kaffee, wärme mir die Eier auf der Heizung, tippe eine SMS, gleich voller Liebe in die Woche starten, mir gutes Karma raufschaffen: „All die Jahre, all die Versprechen, all meine Kraft. Und du? Nur Lügen und Scheiße. Hast es immer gewusst, richtig? Du bist die Lüge. Unbegreiflich.“
Sack warm, Kaffee heiß, Füße kalt.

Heute: Hausbesuch. Mein besonderer Service für die besonderen Kunden, die besonders zahlungskräftigen, die mit den Sonderwünschen. Oft rufen diese Menschen mitten in der Nacht an, rotzverheulte Stimme, völlig aufgelöst, ob ich kommen könne (dabei, mal im Ernst, gibt’s ja genau dann nun wirklich keine Eile mehr), was jetzt zu tun sei. Kühl lagern, sage ich dann mit tiefer ruhiger Stimme, lege zwischen jedes Wort eine angemessene Pause und: Beruhigen Sie sich, ich werde alle Termine für morgen absagen und bei Ihnen vorbeikommen. Trinken Sie jetzt auf Ihren Liebling und versuchen Sie zu schlafen. Ich kann das, auch am Telefon.
Heute also: dunkler Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Empathy sells. Nassrasur, Gel und ab in die Elbvororte. Dort wartet ein Rottweiler auf mich. Tiefgekühlt.


Rottweiler. Da fällt mir diese Schote von vor zwei Jahren ein: Ruft mich ein Pärchen an, ich solle doch bitte vorbeikommen, man brauche eine „Behandlung“. Beide vielleicht Anfang dreißig, Business-Typen. Er vielleicht Anwalt, sie Bänkerin. Vielleicht Management, auf jeden Fall: Riesenwohnung, beste Lage, vierter Stock, Loggia, Schöner-Wohnen-Style. Keine Assis, keine Perversen (wie man sie sich vielleicht vorstellt), keine alten geilen Böcke. Ob ich ihnen einen Bettvorleger aus ihrem Brutus machen könne. Bettvorleger? So wie bei Dinner for One. Der Tiger. Warum nicht? Von mir aus. Handwerklich kein Problem. Bei mir ist der Kunde König.
Dann – hüstelhüstel – ob ich die Genitalien „aufbereiten“ könne. Einlegen. In Formaldehyd oder so.
Auch das.
Solche Leute wissen, was sie an einem haben. Solche Leute empfehlen einen weiter.
War vielleicht mein wichtigster Auftrag, seitdem kommt alle zwei Wochen so ein Bettvorleger-Auftrag, mit dem ich so viel verdiene, dass ich zwei Monate gut davon leben könnte.

Es ist arschkalt geworden. Ich stehe Minuten lang vor dem riesenhaften Stahlzaun, der die Auffahrt verschließt, bis es endlich in der Leitung knackt. Stelle weiße Fahnen aus Atem in die klare Luft. Eine Frauenstimme. Es summt, ich drücke die Tür auf, betrete den Park.
Eine dürre Frau, die in ihrem großen Pullover zu verschwinden droht. Müde, rote Augen, unsortiertes Haar, die Hand, die sie mir kurz reicht, ist glühend heiß.
Wir trinken Kaffee aus sehr kleinen Tässchen, ich sehe mich um, stelle ein paar Fragen zum Tier. Acht Jahre, Maulhöhlenkrebs, zu spät entdeckt, hatte schon gestreut. Plötzlich bricht die Frau in Tränen aus, kippt und lehnt sich an meine Schulter. Lege meinen Arm um sie, frage nach einer Weile, wo der Hund denn liege?
„Terrasse“, schluchzt sie. Ich stehe auf und gehe hinaus. Da liegt das Tier, hart und leicht eingeschneit. Dürr geworden, schönes Fell.
„Das ist Aufsichtsrat“, sagt die Frau, die plötzlich hinter mir steht in ihren Hausschuhen. Ich nicke. Aufsichtsrat? Muss grinsen, hinter den Lippen, klar.
Drinnen frage ich, was ich denn für sie tun könne.
Zweierlei, sagt die Frau, zum einen solle das Fell, gut gegerbt, weiterverarbeitet werden. Zum anderen wolle sie den Rest des Körpers wie in der Körperweltenausstellung, plastiniert haben. Ob ich das könne.
Das Fell könne ich Aufsichtsrat wohl über die Ohren ziehen, sage ich, aber plastinieren, nein, das ist eine Wissenschaft für sich, man braucht ganz spezielle Kunstoffe, Acetonbecken und Aushärtungskammern. Sei ein aufwendiger Prozess, je nach Größe eines Plastinats ziehe sich das locker über ein halbes Jahr. Da müsse sie sich direkt an von Hagens wenden.
Habe sie schon. Aber der Meister nehme keine Aufträge an.
Ein Skelett, sage ich, das könne ich anfertigen, und die Haut. Ich könne Einzelteile in Formaldehyd legen, alles in allem könnten wir eine Menge von Aufsichtsrat erhalten …
Sie werde sich bei mir melden, sagt sie und geht vor in die Küche, blättert in einem großen Buch und kommt dann mit einem Umschlag auf mich zu. Für die Anfahrt und die Beratung. Lächelt sparsam, nickt Richtung Tür.
Draußen, zurück im Morgen, alles in allem keine Dreiviertelstunde, ich lunse in den Umschlag. Fasse es nicht, fünfhundert Euro? Für sie nur ein Trinkgeld. Ich sehe mich um, was muss allein dieses Grundstück wert sein? Vielleicht 5.000 Quadratmeter in dieser Lage? Aufsichtsrats Reich. Hier hat der Köter sich ausgekackt. Hundeleben. Maulkrebs von zu viel Bioleber.

SMS bekommen: „Wo in dir hat bloß all die Jahre dieser Hass gewohnt? Wo hattest du ihn so gut versteckt?“

Seit ich fünf bin, weiß ich, dass etwas in mir schlummert. Irgendwas, von dem ich gar nicht genau wissen will, was es ist. Wir hatten diese Tagesmutter, Nina, und an einem Tag im Sommer, ich weiß noch, wir lagen zu dritt im Garten im Schatten der damals noch kleinen Birke. Ich war in einem merkwürdigen Zustand, nicht ganz wach, nicht ganz schlafend, hörte Ninas helle, glockenhafte Stimme, liebte sie, hasste sie. Hasste, dass sie mich nicht liebte, wie ich sie liebte. Dass sie mich nicht liebte, wie sie meine Schwester liebte. So sehr ich mich auch anstrengte, es war vergebens, Nina war unerreichbar für mich. Ich blinzelte gegen das Licht, Nina ist wie rotgerahmt in dieser Erinnerung, durch meine sonnenroten Lider. Das war mein erster, ganz und gar bewusst erlebter – was sage ich? – zelebrierter Hass. Ich lag, blinzelte, fühlte es kochen in mir, balancierte auf der Grenze zum Schlaf. Glitt immer wieder ab in nicht steuerbare Traumausflüge, verlor das Gefühl für Wirklichkeit und Traum, ließ mich gehen. Sehe es noch vor mir: Wie Nina vor mir döste und ich hinter ihr stand, genüsslich zögerte, den Duft ihrer honiggelben Haare in meinen Bauch sog, sie von hinten packte und erwürgte. Sie zitterte und röchelte, es dauerte Minuten. Wie es tanzte, wie ich flog, wie ich drückte und meine Nina nicht mehr losließ.
Als ich erwachte, lag ich allein im Garten, wusste gar nichts mehr, schüttelte mich Panik. Tränen schossen mir ins Gesicht und ich rannte ins Haus, hörte Stimmen, alles war verschwommen. Hatte ich Nina getötet, meine schöne Nina? Und da stand sie, in der Küche, schnitt Obst in eine Schale und lachte über einen Witz meiner Schwester. Nichts. Nur ein schaurigschöner Traum. Ich gruselte mich und wollte mich gleichzeitig zurückverkriechen in meinen Traum, sie noch einmal töten. Immer wieder. Länger. Diese Macht. Solche Lust und keine Konsequenz. Nina strich mir mit der Hand über den Hinterkopf und das Glas mit eiskaltem Tee, das sie mir gab, ich weiß noch, weckte mich endlich wirklich auf. Ich musste mich setzen und wusste ab diesem Zeitpunkt, dass in mir drin etwas nicht stimmte.

SMS: „Möchte dich so gern bestrafen.“

Wasche ein paar Tiere. Baue ein paar Körper. Alles Handarbeit. Höre dabei ein Radiofeature über Metamorphosen. Kapiere nur die Hälfte. Es gibt zu viele Scheißstudenten. Bin betrunken.

Kleiner, gepolsterter Umschlag im Briefkasten. Gleiche behinderte Handschrift wie auf dem Kofferpaket. Reiße ihn mit den Zähnen auf:
schlüssel
zwei Schlüssel, kleine Metallschlüssel, sparsam verziert, öffnen irgendeine Kommode oder einen alten Holzschrank, vielleicht – den Koffer?
Nein, den nicht.
Schlüssel? Was ist eigentlich los, was soll der Scheiß? Wieder kein Absender. Lege sie auf den Küchentisch. Rauche vier Zigaretten im Stehen, glotze auf die dunkle Straße. Ich höre einfach auf, mir einen Kopf zu machen. Irgendein Mistsack lacht sich ins Fäustchen. Ich lasse ihn. Und zum Beweis schnappe ich mir den Koffer, gehe zu Crown-Pizza und kaufe eine Familienpizza, die mit Schachtel geilerweise genau in den bekackten Koffer passt. Der Ali hinterm Tresen staunt nicht schlecht und kratzt sich die dunkle Rübe, als ich den Koffer auf den Tisch latze und die Pizza darin verschwinden lasse. Guck nur, wunder dich. Als ich vor die Tür gehe und in der Kälte stehe, ärgere ich mich über meine mittelmäßige Idee. Kann den Koffer natürlich nicht am Henkel tragen, sonst suppscht der Belag vom Teig. Egal. Dreihundert Meter. Die Leute glotzen. Vielleicht ist einer von ihnen der beschissene Scherzkeks, der mir seinen Plunder schickt?

SMS: „Drohst du mir?“