Gegerbtes Herz [ 5 ]

Der Ausflug in den Wind war eine beknackte Idee. Kopfschmerz zieht bis zwischen die Schulterblätter. Nase verstopft. Hals kratzt. Bleibe erst mal im Bett. Es lebe die Selbstständigkeit.

Möchte alle Vögel erschießen. Auch alle Kinder und alle Räumfahrzeugfahrer. Alle Postboten und meine Nachbarn sowieso. Kann die Welt nicht einfach mal die Fresse halten? Warum hat die Natur mir Lider gegeben, aber keine Ohrklappen? Warum können wir zum Mond fliegen und für das Plärren der Welt fällt uns nur Ohropax ein?

Mittags SMS: „Ich habe viel Verständnis für das, was du fühlst. Aber das geht zu weit. Ich habe Angst vor dir. Und ich sorge mich um dich. Du bist mein Bruder. Wo sind wir gelandet?“

Antworte: „Danke. Für dein Verständnis. Ich habe auch viel Verständnis für mich. Genieß den Rest deines Lebens, ich wünsche dir Krebs.“

Ich werde mir ein Jagdgewehr kaufen. Einen Jagdschein machen. Natürlich! Warum nicht schon viel früher? Tiere zu töten war mir immer zuwider. Ihre verfallenden Überreste hingegen auszuräumen und ihre haltbare Hülle für die Ewigkeit zu präparieren, das erschien mir auf eine bizarre Art schön. Zu töten, das kam mir immer einfach nur primitiv vor. Destruktiv auf eine dumme Art. Den Reiz der Macht, gut, aber das Krachen, der Rückschlag, die Zerstörung, die man im Lebewesen anrichtet, welch hässlichen Schaden man da hinterlässt. Abartig. Von meinen Kunden sind mir die Jäger immer die verhasstesten. Dumme trophäengeile Kleingeister, Selbstbeweihräucherung mittels Tierkadavern, Schwanzverlängerung: Hirschgeweih. Ihre Löcher zu stopfen, ihnen die Hand zu geben, die zähen Verhandlungen mit diesen knauserigen Antikünstlern. Ohne Gespür für den Wert meiner Arbeit, ihre Herausforderungen. Nur der dumpfe Wunsch, sich in einem weiteren Tier zu verewigen.
Also selber jagen. Schöner töten als diese schlechten Handwerker. Eine Krähe so zu treffen, dass sie nicht zersiebt und vermatscht vom Himmel fällt, das müsste doch machbar sein. Ich werde Spatzen brauchen, Meisen, Kolibris irgendwann.
Und irgendwann wird es ohnehin auch hinsichtlich anderer Herausforderungen in dieser Welt nicht von Nachteil sein, ein funktionierendes Gewehr bedienen zu können. Und zu besitzen.

Mittags hole ich mir Kaffee und Brötchen beim Bäcker. Irgendwann muss ich wieder mit geregelten Mahlzeiten beginnen, komme mir vor wie ein Abiturient, der gerade zu Hause ausgezogen ist und eine Zucchini nicht von einer Aubergine unterscheiden kann. Vielleicht sollte ich mir ein Kochbuch kaufen. Ja. Genau! Ein Kochbuch! Und ein Steakthermometer vielleicht, einen Eierschneider und einen Dampfgarer! Oder vielleicht sollte ich mich steinzeitlich ernähren, vegan oder kokovor? Machen das die Kopfschmerzen, dass meine Ideen immer beschissener werden?

Gehe zur Apotheke und kaufe mir ordentliche Schmerzmittel. Frage nach Egal-Pillen. Was ich meinen würde. Na, was zum Lachen, sage ich. Will so ne Pille, die man einwirft und sich dann über alle Scheiße in der Welt schlapp lachen kann. Weil einem alles egal ist. Weil einem alles so absurd witzig und scheiße klein und albern vorkommt, wie es eigentlich in Wahrheit ist. Eine Wahrheitspille will ich also eigentlich. Eine die mich ins Universum schießt und mich lachen lässt über diese mickrige Existenz. Die mir die Perspektive zurechtrückt. Mich von meiner lächerlichen, mir und allen Mitmenschen aber leider unauslöschlich angeborenen anthropozentrischen Weltsicht befreit. Und sei es nur für Minuten. Bitte. Die mir die Wahrheit wenigstens für die Dauer einer Pille erträglich macht.

Immer wieder ein faszinierender Gedanke, dass man mit ein paar Gramm Chemie seine Sicht auf das Leben verändern kann, wenn auch nur stundenweise. Irgendwann wird es möglich sein, diese Kurzzeitschaltungen in Dauerschalten zu verwandeln. Irgendwann wird man, ohne physische oder psychische Schäden zwischen bestimmten Geisteszuständen hin und her wechseln können, so einfach, wie man das Licht an und aus schaltet.

Die Tante hinter dem Schalter lächelt unsicher, verschwindet und redet hinten im Büro mit ihrem Chef Lohmann. Man kennt mich. Im Schaufenster steht seit einem halben Jahr mein Fuchs. Spende meinerseits für ihre ausgefallene Deko. Ein Hingucker. Dafür hilft Lohmann mir dann und wann aus mit guten Schmerzmitteln und belebenden Zäpfchen. Und so.

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Im Briefkasten: ein Umschlag ohne Absender.
Werfe ihn in der Küche auf den Tisch. Die Schrift ist wie von einem Behinderten. Oder wie mit links geschrieben.

Ich rauche erstmal. Huste gelb und saftig. Denke nach. Welcher Hirnie schickt mir diesen Scheiß. Vielleicht öffne ich die Scheißpost einfach gar nicht. Da spielt irgendein Perverser ein bekacktes Spiel mit mir und ich spiele einfach mit?
Soll das eine Parabel sein auf mein Leben?
Briefe aus dem Jenseits.

SMS: „Wie kannst du so sein? Was ist mit deinem Herzen?“
Antworte: „Gegerbt und ausgestopft.“
„Was willst du erreichen? Willst du alles tot machen? Alle Gefühle?“
„Schon erledigt. Von dir. Unter anderem.“
„Muss ich mir eine neue Nummer besorgen?“
„Gerne. Ich weiß ja, wo ich dich finde (falls ich das mal wollen sollte)“

Und dann öffne ich das Päckchen doch.
Ein vollkommen zerkratztes Brillenetui und eine John-Lennon-Gedächtnisbrille.

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Dazu ein Zettel, die gleiche Handschrift wie auf dem Umschlag:

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Na, dann mal los.