Glitter [ 23 ]

Post aus Oldenburg. Die Sache wird immer schräger. Was soll der Scheiß. Meine Mutter ein Showstar?
Wenn es einen Prototypen für graue Mäuse gäbe, dann wäre das wohl meine Mutter gewesen. Ein stiller, blasser Mensch, humorbefreit bis in die Leber. Konnte nicht mal lachen, wenn man sie kitzelte. Habe ich meine Mutter lachen sehen? Ich meine nicht das Lächeln für Fotos oder fremde Blicke. Ich meine lachen, weil sie etwas komisch fand. Lachen, für sich. Aus sich heraus, ungeplant.
Tanzen? Ja, das sicher. Paartanz. Ich kann mich an Festivitäten (es braucht so ein sperriges Wort, um zu beschreiben, was gemeint ist) erinnern, auf denen meine Mutter sich durch den Raum schieben ließ und Schritte aufführte. Wenn meine Mutter gelacht hätte, dann so wie sie tanzte: verordnet, geordnet, auswendig gelernt, ohne Bezug zur Musik. Sie tanzte wie sie kochte, sparsam, nach Rezept, im Hinblick auf Sättigung. Sie kochte, wie sie aß, ohne Sinnlichkeit. Sie aß wie sie sprach, leise, hastig, wenig. Sie sprach, wie sie lebte, stimmlos, monoton, schüchtern. Sie lebte, wie sie starb. Eilig, schmerzhaft, sich entschuldigend für die Zumutungen, die sie anderen zu bereiten glaubte.
Mag sein, dass sie Träume hatte. Wahrscheinlich. So unrecht hat der Spinner nicht. Jeder hat Träume, selbst ich. Und was weiß ich von den geheimen Wünschen meiner Mutter. Wir sprachen selten mehr als das Nötigste. Vielleicht stimmt es. Vielleicht muss man es machen, wie der Spinner, um sie zu begreifen, von innen her zu begreifen: sie völlig vergessen. Aufgeben und verlieren. Von ein paar glitzernden Plastiksternchen ausgehen und blind nach den erstbesten Assoziationen greifen. Vielleicht. Vielleicht nur so.

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