Der Unsinn des großen Ganzen. [ 31 ]


Ich breite die Arme aus. Gleite. Die Augen geschlossen. Mein Becken bewegt sich vor und zurück, auf dem Kopf könnte ich einen Eimer Wasser balancieren, ich reite. Werde getragen. Rieche das Tier, spüre seine Bewegungen an der Innenseite meiner Schenkel, ich halte mich fest an dieser lebendigen Wärme. Keine Mähne, dafür Hörner. Ohren. Fühle so viele Muskeln. Es fällt mir nicht ein, zu lenken, ich komme nicht auf die Idee. Wohin auch?
Und als ich irgendwann die Augen öffne, sehe ich um mich herum: Krähen. Krähen auf Kühen, Krähen, die Kühe reiten. Eine Armee aus Kühen, im Galopp, die entschlossen auf ein Ziel zustürmt. Und auf jedem Kuhrücken eine Krähe, manchmal zwei – Reiter, Lenker, Kapitäne. Unter ihnen: Ich, mit ausgebreiteten Armen (oder waren es Flügel?). Mein Becken bewegt sich vor und zurück oder sind es die dünnen Beine einer Krähe, die die Bewegungen der warmen Kuh an der Innenseite meiner Oberschenkel wie ein Stoßdämpfer ausgleichen? So reite ich. Auf Kühen keinem Stück Land entgegen und als mir der Traum langsam entgleitet, sich verdünnt und im Tageslicht auflöst, fällt mir ein, dass diese Horde oben auf meinem Dach reiten muss. Das ist die Krönung. Ist die Lösung. Der Unsinn des großen Ganzen. Eine Herde Kühe im Galopp, dreihundert, vierhundert Tiere. Ich sehe einen Himmel über ihnen, viele Himmel. Unter ihnen den zitternden Beton des Flachdachs. Hier oben schaukelt die Welt und die Perspektive dreht sich. Dann sehe ich alles von vorne und verstehe, dass zweihunderttausend Kilo wuchtige Entschlossenheit auf mich zugaloppieren. Ich stehe da und sehe sie kommen. Als sei ich das Ziel.
Als sei man das Ziel.


Aus dem unteren Stockwerk kletterte man Stahldraht hinauf. Mühsam, unsicher, frei im Raum. Und kaum steckte man den Kopf durch das Loch im Dach, kaum blickte man hinaus, sähe man die Horde auf sich zustürmen. Ein Film-Still, real, begehbar. Dreißig mal dreißig mal dreißig Meter Gemälde für immer nur einen einzigen Betrachter. Für immer, wenn es immer noch gäbe, aber es gibt kein immer, weil es keine Zeit mehr gibt. So stelle ich es mir vor.

Komme langsam zu mir, checke, wo ich bin: Ich liege unter einer grauen Wolldecke auf Frauchens Terrasse, genau an der Stelle, wo Aufsichtsrat gestorben ist. Darüber liegt der kleine Balkon, der zu dem Zimmer gehört, in dem Rieke… ja, was? Untergekommen ist? Lebt? Wohnt? Ihre “classes” vorbereitet oder was?
“Personal Trainer”, hat Frauchen mir erklärt. Rieke sei ihr Personal Yoga Teacher. PYT. Peewhaytee! Sie sei in das Zimmer neben meinem eingezogen. Und dann ihr nussknackendes Zwinkern.