Achja: Dumpfback.
Dumpfback lag und schlief, Atem wie ein Hühnchen, roch nach Pisse, Gesichtsfarbe: Knödel. Ich saß im Schneidersitz bei ihm und zählte leise bis zweihundertfünfzig, dann wollte ich aufstehen und langsam davon gehen. Irgendwann würde irgendwer seinen kleinen dicken toten Körper finden, vergiftet und vielleicht inzwischen schon ein wenig angefault. An mich würde keiner denken, jemals. Der verfressene Dumpfback hatte eben Pilze in sein dummes Maul gestopft, hätten Mama und Papa Dumpfback eben besser aufgepasst… Ich wollte mir diesen Moment einspeichern in meinen Kopf, wie die Haut eine Verletzung in Form einer Narbe sichtbar erinnert. Hundertsiebenundvierzig, kamen Krähen, stritten oben in den Wipfeln. Ich dachte, dass sie vielleicht hier waren, Dumpfback abzuholen, sagte man das nicht? Dass Krähen Kinderseelen seien? Ich vergaß meine Zahlen und blickte nach oben. Fragte mich, was sie dort oben zu reden hatten. Es klang aufgeregt und wütend, aufgebracht und ein bisschen furchteinflößend. Dumpfback stöhnte leise. Sangen die Krähen ihm gerade die Seele aus der Brust? Schmerzte das? Ich legte ihm die flache Hand auf die kalte, nasse Stirn. Und Dumpfback öffnete die Augen, dick und weiß, zum Platzen gespannt. „Es geht los“, wisperte er. Ich nickte. Die Krähen riefen unsere Namen. „Ich kann es fühlen. Ich will unsichtbar sein und Feuer schießen.“ Und schwach wie ein ausgetrockneter Regenwurm, griff seine speckige Hand nach weiteren Pilzen. Er lächelte fahlgelb und schob sie sich in seinen blaubelippten Mund. Wahrscheinlich hat genau das ihm sein kleines Leben gerettet.
Denn direkt danach drehte Dumpfback sich auf die Seite und kotzte zweieinhalb Minuten beißend riechenden Schleim auf das Moos, auf dem er lag. Stülpte sein Innerstes nach außen, bis es ihm grün kam und dann blutig. Da stand ich auf und ging. Über mir schossen die Krähen aus dem Wipfel, als wollten sie mir folgen, mich verraten. Ich fing an zu laufen, zu rennen, zu fluchen. Ließ Dumpfback liegen, wollte nur noch weg. Was würde jetzt passieren. Bis jetzt hatte ich keine winzige Spur hinterlassen, den kurzen Gedanken daran, ob ich Dumpfback erwürgen sollte, gab ich sofort wieder auf. Mir war klar, dass ich damit nicht davon kommen würde. Aber was, wenn der kleine Penner seinen Eltern erzählen würde, dass ich ihm gesagt hatte, dass er sich mit allen Sorten von Pilzen vollstopfen solle? Ob ich ins Gefängnis kommen würde? Mein Herz prügelte in meiner Brust, das Rennen brannte in der Lunge, am Waldrand blickte ich ängstlich in den Himmel. Keine Krähe.
Ich würde einfach alles leugnen. Würde empört tun über diesen Vorwurf. Ich? Warum sollte ich so einen Schwachsinn erfinden? Durch Pilze zum Superhelden? Klingt das nach mir oder nach dem kleinen feisten Dumpfback? Also. Ich würde beleidigt tun, dass man mir sowas überhaupt zutraute. Meine Eltern wären auf meiner Seite. Sogar mein fischkalter Vater aus Schleifpapier. Kam einer von außen, wollte mir Böses, wurde dieser recyclingpapiergraue Stock von Mann zu einem angriffsbereiten Löwen, er würde mich verteidigen gegen alles in der Welt, denn niemand sagte ein falsches Wort gegen ihn oder die, die ihm untergeordnet waren, egal wie tief sie unter ihm standen. Es war sein verfluchtes Recht, seine Zigaretten in meinem Rücken auszudrücken und nicht das der Nachbarn, mir einen versuchten Mord anzuhängen. Darauf, immerhin, konnte ich mich verlassen.