Einmal tat der Stadtschreiber etwas Komisches: Anstelle weiter an der Chronik der Stadt zu arbeiten, notierte er einen Traum. Vor einigen Nächten war ihm Oldenburg im Traum erschienen; aber nicht das Oldenburg, wie man es kannte, sondern das Oldenburg, wie es eines Tages sein würde.
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Alles Wissen dieser Welt [ 53 ]
Und das war alles, was die Bewohner von Huaquepata jemals über Oldenburg erfahren sollten. Kaum war der Südwinter überstanden, kaum, dass es taute und tropfte, das Altiplano langsam wieder zu bereisen war, packte Enno Gödecke seine Sachen. Im Morgengrauen des 22. September 1870 verließ er das Andendorf, das ihn so viele Monate lang beherbergt hatte. Weiterlesen
Finn-Ole Heinrich
Stipendiat Januar bis Juli 2014
Finn-Ole Heinrich, geboren 1982, wuchs in Cuxhaven auf. Bevor er in Hannover Filmregie studierte, absolvierte er seinen Zivildienst in Hamburg. Als Autor debütierte Heinrich im Alter von 23 Jahren mit dem Erzählband „die taschen voll wasser“. 2007 folgte sein erster Roman „Räuberhände“, der 2013/2014 Abiturprüfungsthema an allen Hamburger Gymnasien ist und vom Thalia Theater auf die Bühne gebracht wird. Der zweite Erzählband „Gestern war auch schon ein Tag“ erschien 2009. Unter dem Titel „Frerk, du Zwerg!“ veröffentlichte Finn-Ole Heinrich 2011 sein erstes Kinderbuch, für das er 2012 den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Kinderbuch erhielt. 2013 erschien im Hanser Verlag Teil 1 seines neuen Kinderbuchprojekts „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“, das auf drei Bände angelegt ist.
In den letzten Jahren hat Finn-Ole Heinrich über 500 Lesungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, Armenien, Tschechien, Island, Spanien und den Niederlanden gehalten. Er dreht Kurzfilme, Musikvideos, Dokumentationen und schreibt aktuell seinen ersten Kinofilm. Als Autor erhielt er zahlreiche Arbeitsstipendien (u.a. Erfurter Stadtschreiber, Heinrich-Heine-Stipendium) und verschiedene Literaturpreise (u.a. Kranichsteiner Literatur-Förderpreis, Hamburger Förderpreis für Literatur). Finn-Ole Heinrich lebt als freier Autor in Hamburg.
http://www.finnoleheinrich.de/ | https://www.facebook.com/pages/Finn-Ole-Heinrich
Photo: Denise Henning – henning.denise@gmx.de
Dienstag [ 1 ]
In der Mittagspause zur Post. Schlange bis raus auf die Straße. Bestimmt vierzig Leute vor mir, zwei Schalter. Jemand will ein Konto eröffnen. Fick dich, Kontoeröffnen um diese Uhrzeit. Ich will das scheiß Paket abholen und noch was essen.
Wer schickt mir überhaupt was? Hab nichts bestellt. Sechsundzwanzig Minuten anstehen. Arschladen Post.
Riesenpaket, federleicht. Kein Absender. Was soll der Scheiß?
Das Paket ist ein leerer Koffer. Ein beschissener alter Koffer mit nichts drin! Keine Ahnung, was das soll. Was soll das? Wer schickt mir nen leeren Koffer, was soll das bedeuten? Muss ein Fehler sein. Aber wie? Irgendeine Verwechslung in nem Ebay-Konto oder so? Keine Ahnung.
Für nen leeren Koffer zwanzig Minuten durch den Nieselregen gelatscht und ne halbe Stunde angestanden? Made my day.
Mopskrankheit [ 2 ]
Wirre Träume. Kalte Wohnung. Leerer Kühlschrank. Blauer Morgen. Die Milch flockt im Kaffee.
Croissant auf dem Spaziergang zur Werkstatt.
Ich bestelle Augen. Wälze Kataloge. Vergleiche Bilder. Wirklich gute Augen sind zwar teuer, aber am Auge darf man nicht sparen. Wenn das Auge nicht zum Ausdruck passt, dann ist das ganze Tier verpfuscht. Die Form muss stimmen, die Größe, auch die Größe der Pupille. Das sieht der Laie nicht, aber er spürt es. Die Leute sollen vor meinen Tieren stehen und denken: Ja. Das verstehe ich. So ist es gewesen. Das ist die Kunst. Darum kommen die Leute zu mir.
In der Mittagspause sitze ich mit Pizza (einfach, aber geil: Birne-Gorgonzola) im Park unter dem Krähenbaum. Morgen soll es richtig kalt werden. Die Vögel pöbeln in den Wipfeln. Zwischen Pizza und Zigaretten tippe ich mit kalten Fingern: „Leck mich. Ich helf dir nicht. Dein Problem.“
Weil ich Psychologe bin. Deshalb kommen die Leute zu mir. Weil ich nicht einfach nur Tiere ausstopfe. Weil ich mir die Menschen angucke, mit ihnen rede, weil ich dann weiß, wie sie sich an ihre Tiere erinnern wollen. Verspielt oder treu, devot, aggressiv oder kulleräugig. Als Beschützer, Begleiter, Soldat oder Baby. Danach modelliere ich die Pose, dann der richtige Ausdruck in den Augen und der Preis spielt keine Rolle. Für die meisten. Jäger sind knauserige Trophäensammler, aber reiche Menschen bezahlen gern für Kunst und sie bezahlen gern für ihr geliebtes Tier. Sie sind fast dankbar, wenn man ihnen mit einem saftigen Preis die Möglichkeit gibt, ihre Liebe und Großzügigkeit noch einmal zeigen zu dürfen.