Aufsichtsrats Reich [ 3 ]

Montagmorgen, Wecker um sieben, tiefschwarzer, verhangener Morgen, Erektion bis in die Küche. Warte in Unterhose auf den Kaffee, wärme mir die Eier auf der Heizung, tippe eine SMS, gleich voller Liebe in die Woche starten, mir gutes Karma raufschaffen: „All die Jahre, all die Versprechen, all meine Kraft. Und du? Nur Lügen und Scheiße. Hast es immer gewusst, richtig? Du bist die Lüge. Unbegreiflich.“
Sack warm, Kaffee heiß, Füße kalt.

Heute: Hausbesuch. Mein besonderer Service für die besonderen Kunden, die besonders zahlungskräftigen, die mit den Sonderwünschen. Oft rufen diese Menschen mitten in der Nacht an, rotzverheulte Stimme, völlig aufgelöst, ob ich kommen könne (dabei, mal im Ernst, gibt’s ja genau dann nun wirklich keine Eile mehr), was jetzt zu tun sei. Kühl lagern, sage ich dann mit tiefer ruhiger Stimme, lege zwischen jedes Wort eine angemessene Pause und: Beruhigen Sie sich, ich werde alle Termine für morgen absagen und bei Ihnen vorbeikommen. Trinken Sie jetzt auf Ihren Liebling und versuchen Sie zu schlafen. Ich kann das, auch am Telefon.
Heute also: dunkler Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Empathy sells. Nassrasur, Gel und ab in die Elbvororte. Dort wartet ein Rottweiler auf mich. Tiefgekühlt.

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Eine Million Stunden [ 4 ]

Kopfschmerz. Kopfschmerz. Kopfschmerz.

SMS bekommen: „Welcher Koffer?“
Wenn der Koffer tatsächlich nicht von ihr ist, von wem dann?
Schreibe: „Die Schlüssel haben gepasst. Nett von dir. Konnte das Geld gut gebrauchen.“
Nur um zu sehen, ob sie darauf anspringt.

Eine Totgeburt von Tag. Bewege mich außer zum Klo keinen Zentimeter. Wünschte, ich könnte das ganze leere Wochenende einfach wegschlafen. Träume von meiner Ausstellung. Lebenswerk. Kraftquelle. Gemälde aus Tierkörpern.

Drehe mich von einer Seite auf die andere. Überlege, dass ich mehr als hundertvierzehn Jahre aushalten müsste, wenn ich dem Universum eine Million Stunden Lebenszeit abtrotzen wollte: vierundzwanzig mal dreihundertfünfundsechzig mal hundertvierzehn sind gerade mal knapp eine Million. Wenn ich nicht abartiges Glück habe, hab ich nicht mal eine Million Stunden. Wirklich, keine Zeit zu verschwenden. Ein Wochenende wegschlafen? Fuck.
Genau genommen bin ich Fleischmüll und mehr nicht. Alles, was ich jemals denke und fühle, mache und tue ist endlos irrelevant in der Unendlichkeit. Um das zu verstehen, muss man sich nur vorstellen, ohne Gedächtnis zu sein. Oder in ein Demenzheim gehen.

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Gegerbtes Herz [ 5 ]

Der Ausflug in den Wind war eine beknackte Idee. Kopfschmerz zieht bis zwischen die Schulterblätter. Nase verstopft. Hals kratzt. Bleibe erst mal im Bett. Es lebe die Selbstständigkeit.

Möchte alle Vögel erschießen. Auch alle Kinder und alle Räumfahrzeugfahrer. Alle Postboten und meine Nachbarn sowieso. Kann die Welt nicht einfach mal die Fresse halten? Warum hat die Natur mir Lider gegeben, aber keine Ohrklappen? Warum können wir zum Mond fliegen und für das Plärren der Welt fällt uns nur Ohropax ein?

Mittags SMS: „Ich habe viel Verständnis für das, was du fühlst. Aber das geht zu weit. Ich habe Angst vor dir. Und ich sorge mich um dich. Du bist mein Bruder. Wo sind wir gelandet?“

Antworte: „Danke. Für dein Verständnis. Ich habe auch viel Verständnis für mich. Genieß den Rest deines Lebens, ich wünsche dir Krebs.“

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Auftauen [ 6 ]

Tage stummer Arbeit. Geschmeidig bleiben. Nicht abdrehen. Alles ein bisschen viel im Moment. Was mir schon immer geholfen hat: Arbeiten. Dinge tun. Business as usual. Wenn es unruhig wird im Innern, einfach wegschaffen, was eh getan werden muss. Hebe nach und nach gefrorene Tiere aus der Kühltruhe und gehe meinem Handwerk nach.
Sitze in meiner Werkstatt, draußen das Rauschen der Straße, klappernde Schritte. Leere Müdigkeit zwischen den Ohren. Heute vor allem Basisarbeit: Abziehen und Entfleischen, Waschen und Entfetten. Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, aber gesunde Routine.

Tauwetter.
In meiner Pause ein wundersames Schauspiel. Sehe zwei Krähen rodeln. Als wollten sie den Winter verabschieden. Den Frühling begrüßen. Eigentlich zu früh, aber da es taut und die Luft mild und würzig riecht und sich die Leute mit offenen Jacken auf den Tischen und Stühlen vor den Cafés in der Sonne aalen, werden vielleicht auch die Vögel übermütig. Auf dem Rücken rollen und rutschen meine Krähenfreunde einen kleinen Schneeberg hinab. Immer und immer wieder das gleiche Spiel: kullern hinab und klettern auf den Füßen schnellstmöglich wieder hinauf, nur um sich erneut hinab zu rollen. Einfach aus Freude. Völlig unsinnig. Spielende Vögel. Euch werd ich helfen.
Ich muss lächeln. Fast hüpft mir mein Herz in der Brust. Das habe ich lange nicht gehabt. Bin gut gelaunt, als hätte ich darauf gespart.

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