Mechanik des Kosmos [ 38 ]

Habe mir extra den Wecker auf Yoga gestellt.
Sitze schon seit zwanzig Minuten hier auf meinem Klappstuhl und warte im angenehm kühlen Morgendunst, saufe Rotwein aus der Flasche, höre dem Gebrüll der Vögel zu und denke, wie still sie einmal in meinem Tempel stehen werden. Dann endlich geht das Fenster auf und Rieke und Frauchen betreten die Bühne. Sieht man bei Rieke schon einen Bauch? Ich kneife die Augen zusammen, schwer zu sagen. Und da breitet Frauchen auch schon die Arme aus und hebt ihr eines Bein, es geht los. Sie hebt ab. Ich möchte meine Augen weiter öffnen, ich möchte ganz aufmachen, sie hereinlassen, diese Leichtigkeit, diese Kraft, diese Kontrolle. Alles an Frauchen ist so ohne Ende mühelos, so elegant, sie steht da wie ein Ypsilon, engelsgleich. Rieke nickt und dann berühren sich über Frauchens Kopf, hinter ihrem Rücken, die Hände und ihr Fuß. Sie steht da, auf einem Bein, Schattenriss einer Lupe, Symbol der Weiblichkeit, gleich müsste Rieke mit der Peitsche knallen und eine große Katze würde durch Frauchens Kreis springen wie im Zirkus. Aber Frauchen gleitet einfach weiter, in einer nicht endenden, nicht stockenden, gleichmütig fließenden Bewegung, löst sich die Lupe auf, sie ist Honig, ist Wasser, ist eins mit der Zeit und dem All. Sie sinkt, die Arme zum Himmel ausgebreitet, zu Boden, ihre Beine gleiten nach vorne und hinten auseinander. In so vollendeter Langsamkeit landet sie im Spagat und gleitet direkt weiter, gleitet. Gleitet, schwimmt, schwebt, sie ist die Bewegung, die Konzentration, sie ist die Definition von Eleganz. Weiterlesen

Geh nicht zu tief hinein [ 39 ]

In meinem Wohnblock: Ein ganzes Stockwerk gefliest. Rundherum: Boden, Wände, Decke. Kniehoch Wasser. Schummeriges Licht, nicht zu hell und nicht zu dunkel. Darin Eichhörnchen, rasiert und mit Dorschaugen. Auf Holzscheiten umhertreibende Marder mit bohrenden Blicken. An den Wänden kleben Aale und Eidechsen, lauernd, wie zum Sprung bereit. Man muss, um ins nächste Geschoss zu gelangen, durch dieses Wasser waten. Einen langen Flur entlang, durch dunkle Bereiche, und man wird hoffen, nicht gebissen zu werden, weil es nichts Schlimmeres gibt, nichts Gruseligeres, als Bisse von unten, in die nackten Beine, von Wesen, die man nicht sehen kann, die schnell und elegant durch ein fremdes Element gleiten, in dem man selbst nur zu Gast ist. Wesen, die aus unbekannter Tiefe kommen könnten. Mit Zähnen, Giften und Absichten, von denen mein Luft und Erde gewohntes Hirn nichts weiß.

Über der Treppe ins nächste Geschoss ein Schwarm Mauerspatzen, im Tanz gefroren, im Flug gestoppt, stehen sie in der Luft, genau im Moment des Entschlusses zur Flucht. Dieser seltsame Moment, wenn alle Individuen eines Schwarms scheinbar ohne Kommando und äußere Anzeichen im selben Augenblick dieselbe Entscheidung treffen und einhellig die Richtung ändern. Dieser Moment der totalen Umkehr, für immer hier archiviert.

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Dieses großartige Funktionieren [ 40 ]

Seine Knochen sind reif für die Sonne. Ich habe sie gekocht, geschabt, gebürstet, gekühlt und gespült. Noch bleichen sie in einer großen roten Plastikwanne in Watte und Wasserstoffperoxid. Dann lege ich sie zum Trocknen in die Sonne. Einzeln, Stück für Stück breite ich Aufsichtsrats Knochen auf dem Rasen im Garten aus, zwanzig Quadratmeter Knochen, bei jedem Knochen, den ich ablege, stelle ich mir die Position im Körper vor, im Kopf mache ich eine Skizze für den Aufbau.

Die Heinzelkäfer aasen sich durch vier Eichhörnchen, eine Elster und eine Katze. Ich liebe es, ihnen zuzusehen, stundenlang könnte ich nur dastehen und ihrem regen Treiben zusehen, ihrem funktionierenden Leben. Ich stehe hier und glotze wie andere ins Feuer, auf die See oder in eine Waschmaschine. Wie gut die Welt ineinanderpasst. Wie wunderschön ihre Ideen. Ich stehe und starre hinein in dieses großartige Funktionieren und ich fühle großes Glück. Wie eine Welle kommt es über mich. Kein Tässchen, keine Tasse und kein Becher. Eine Welle. Groß wie eine Wand, heiß und unbekannt. Es wühlt mich fast um, ich muss mich am Terrarium halten, ich denke, was für ein Geschenk, dass ich das erleben darf.

Ich werde Rieke an einen Ort schaffen, an dem sie sicher ist, an dem für sie gesorgt ist. Wo sie nicht auf dumme Gedanken kommt, wo ich sie schnell besuchen kann. Wo sie aber weit genug entfernt ist von hier, von Frauchen, von allem, was sie irritiert und ängstigt, auch wenn ich nicht verstehe, was das ist.
Und Frauchen? Brust auf. Träume raus. Zeit für Pläne. Ich werde ihr den Wohnblock zeigen. Sie wird sofort verstehen, was ich meine. Wenn jemand Träume dieser Größenordnung realisieren kann, dann wohl Frauchen.

Auf und zu und verloren [ 42 ]

Ja. Ein kleiner Bauch. Ich sehe ihr zu, starre wie hypnotisiert auf dieses kleine Bäuchlein, als könnte ich dort mehr entdecken, je länger ich hinsähe. Dort also wächst ihr Kind, formt sich ein Mensch, es ist unglaublich. Je länger ich darüber nachdenke, desto unfassbarer finde ich es. Dass dort Leben entsteht. Leben. Echtes Leben.
Rieke rotiert in ihrer kleinen Küche, ich höre es blubbern und knistern, es riecht nach Nudeln und Knoblauch. Ich sitze hier und trinke und rauche nicht, denn meine Schwester ist schwanger und da raucht man nicht, natürlich nicht. Ich komme gar nicht auf die Idee, ihr bei irgendwas zu helfen, ich kann mir jetzt schon denken, dass ich in ein paar Monaten ohnehin für alles zuständig sein werde, und lasse sie machen. Sie hat mich eingeladen, also sitze ich und starre auf ihren Bauch und trinke ein Glas Wein nach dem anderen. Sicher will Rieke irgendwas reden, dafür trinke ich mich in Stimmung und genieße die Ruhe, solange sie damit beschäftigt ist, zu kochen. Wie will ein Mensch, der es kaum schafft, ein paar Nudeln zu kochen, ohne darüber ins Schwitzen zu kommen, eigentlich Mutter sein. Wir werden sehen.

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