geschrieben am 23.10.2012
Archiv der Kategorie: Gregor Sander 2012
Oben offen
geschrieben am 25.10.2012
„Warum trägst du eigentlich keinen Fahrradhelm“, fragte mich mein achtjähriger Sohn vor ein paar Tagen. „Weil Erwachsene nicht so oft hinfallen“, antwortete ich. Die Standardantwort. „Ich fall doch auch nicht mehr hin“, sagte Malte. Ich holte tief Luft und fragte: „Willst du keinen Helm mehr aufsetzen?“ „Doch, doch“, sagt er und schnallte sich die Plastikschale um: „Ich würden nur gern wissen, warum du keinen aufsetzt.“ Tja, warum nicht? Dann nahm ich mir den Helm meiner Frau, der seit Monaten neben den Fahrrädern hängt und setzte ihn auf. Meine Frau hat ihn vielleicht sechs Wochen getragen. Dann nicht mehr. Ich fuhr durch Berlin, wie jeden Tag. Der Helm war nicht angenehm, aber auch nicht schlimm. Ich wurde dauernd angesprochen: „Du mit Helm?“ Unser letztes Auto, das wir leider als es 20 Jahre alt war verschrotten lassen mussten, hatte keinen Airbag und kein EPS, DFB, LMMA und wie diese Sicherheitssysteme noch so heißen, von denen ich nicht mal weiß, was sie alles machen. Unser derzeitiges Auto, immerhin schon 13 Jahre alt, hat das alles ganz selbstverständlich. Der nächste Wagen wird mich vermutlich selbständig anschnallen. Sonst fährt er gar nicht erst los. Das kaufen wir alles mit, aber einen Fahrradhelm setzen wir nicht auf. In der Nordwest-Zeitung fand ich dazu eine interessante Aussage eines Neurochirurgen: Dr. Frerk Meyer, Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik im Evangelischen, sagte auf Anfrage der NWZ, dass ein Teil der schweren Kopfverletzungen, mit denen er und seine Kollegen im Klinikalltag konfrontiert würden, mit dem Tragen eines Helms hätten vermieden werden können – aber nur ein sehr geringer. So weit die Erfahrung – die Datenlage aus wissenschaftlichen Erhebungen sei uneinheitlich. Während ältere Literaturquellen von einer möglichen Reduzierung der Kopfverletzungen durch Helme bis zu 90 Prozent ausgehen, kämen jüngere Studien zu wesentlich geringeren Raten. Allerdings: Aufklärung allein führe nicht unbedingt zu mehr behelmten Radlerköpfen („selbst unter Neurochirurgen trägt weniger als die Hälfte einen Fahrradhelm“). http://www.nwzonline.de/oldenburg/wirtschaft/helmpflicht-fuer-radler-in-oldenburg-ohne-fuersprecher_a_1,0,570192714.html
Helmlose radelnde Neurochirurgen! Es gibt eben auch Lungenärzte, die rauchen. Selbst Pathologen rauchen. Aber warum das so ist? Ich weiß es nicht. Mein Fahrradhelm hängt seit gestern allerdings wieder am Haken.
Zeichen setzen
geschrieben am 30.10.2012
Ich habe in den letzten Tagen viel über die Pferdehaut gelernt. Die soll achtmal dicker sein, als die des Menschen und trotzdem lautet das Sprichwort: Das geht auf keine Kuhhaut. Aber vielleicht ist die ja noch dicker. Pferde bekommen seit Jahrhunderten ein Zeichen in die Haut gebrannt. Dies erklärt die Zugehörigkeit zu einer Rasse. Welch verwirrende Vielfalt der Brandzeichen es in Deutschland gibt, zeigt die Seite: www.pferde-rassen.de, die es tatsächlich gibt, auch wenn sie ein wenig ausgedacht klingt. Verschiedene Bundesländer wie Brandenburg oder Bayern haben verschiedene Brandzeichen für Warmblüter, Kaltblüter, Pony, Haflinger und Sonstige. Es gibt aber auch ein Brandzeichen für Friesen in Bayern. Auch wenn das irre klingt. Oder vier Zeichen für die Pferde, die man Araber nennt: Araber (logisch), Originalaraber (schon wieder irre), Partbred und Shagy Araber. Genaueres hier: http://www.pferde-rassen.de/branzeichen.htm
Natürlich haben auch die berühmten Oldenburger Pferde eine Brandzeichen, das in den Oberschenkel eingebrannt wir. Ein O mit einer Krone darauf. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) wollte diese Tradition nun abschaffen, weil dies Tierquälerei sei, und weil die EU den Pferdezüchtern seit drei Jahren vorschreibt die Tiere mit einem Mikrochip zu kennzeichnen. Die Tierquälerei entkräfteten die Pferdezüchter mit dem Argument der achtmal dickeren Haut und der Generalsekretär des Bauernverbandes, Helmut Born sagte allen Ernstes, die Brandzeichnerei sei: „ein historisch gewachsenes Kulturgut, dessen Verbot Tausende von Pferdezüchtern und Millionen von Menschen, die sich dem Pferd verpflichtet fühlen, vor den Kopf stoßen würden.“ (Berliner Zeitung) Das klingt ziemlich dünnhäutig oder auch dickschädelig. Das Verbot ist jedenfalls vom Tisch.
Bliedegaid
geschrieben am 01.11.2012
Vielleicht haben Sie ja Schwierigkeiten mit meiner Überschrift. Dann kommen Sie vermutlich nicht aus den Dörfern Scharrel, Ramsloh und Strücklingen-Utende. Denn dort wird noch Saterfriesisch gesprochen. Dabei handelt es sich um einen Dialekt der ostfriesischen Sprache. 1500 bis 2500 Menschen sprechen es noch. Auf der Seite des Hamburger Abendblattes fand ich folgende Meldung: Das nur noch von wenigen Menschen gesprochene Saterfriesisch soll an der Universität Oldenburg wissenschaftlich untersucht werden. Die Forschergruppe um Prof. Jörg Peters will herausfinden, ob sich die Sprache bei jüngeren Menschen durch den Kontakt mit dem Hoch- und Niederdeutschen wandelt. Außerdem sollen mögliche Differenzierungen in den drei Saterlander Dörfern Scharrel, Ramsloh und Strücklingen (Landkreis Cloppenburg) belegt werden. Dazu wollen die Wissenschaftler Tonaufnahmen machen. Schwerpunkt sei die Aussprache der Vokale. http://www.abendblatt.de/region/niedersachsen/article110479880/Universitaet-nimmt-Saterfriesisch-unter-die-Lupe.html
Während meiner kleinen Internetunterrichtsstunde „Saterfriesisch für Anfänger“ bin ich auf ein Youtube-Video von Radio Bremen gestoßen, wo eine gewisse Gretchen Gross Kindern den Struwwelpeter in dieser schönen Sprache vorliest. http://www.youtube.com/watch?v=AFNlZecza_k
Aber die Seite die mich am meisten begeistert hat, ist die des Deutsch-Saterfriesische-Wörterbuches. Dort kann man wirklich jedes Wort eingeben und es wird übersetzt. Hummel – Moasieme! Bier – Bjoor! Buch – Bouk! Damit kann man viel Zeit verbringen: http://www.majstro.com/Web/Majstro/bdict.php?gebrTaal=deu&bronTaal=deu&doelTaal=stq&vk=0&teVertalen=Buch
Ach ja, Bliedegaid heißt Freude, und die Saterfriesen haben dafür fünf Wörter!
Grönemeyer, theoretisch und praktisch
geschrieben am 06.11.2012
Im Theater Bremen gibt es eine interessante kleine Reihe. Portrait of an Artist heißt sie, und Theaterleute stellen hier Künstler vor, die sie beeinflusst haben und die sie im besten Fall auf die Bühne gebracht haben.
Am Mittwoch, 07.11.2012 nähert sich hier der Regisseur Frank Abt dem Sänger Herbert Grönemeyer: „ Frank Abt ist Herbert Grönemeyer-Fan. Man könnte sagen: Er ist es schon immer gewesen. Vor allem der junge Herbert G. hatte es dem noch sehr jungen Frank A. angetan. Der Noch-Nicht-Grönemeyer. Der Pathetische, irgendwie Verlassene, der verbissen kinskihafte Solist am Klavier. Eine Erkundungstour durch TV-Aufzeichnungen und alte Tonträger hinein in die auch eigene Vergangenheit.“ (Theater Bremen) Ich kann mich an die ersten Auftritte von Herbert Grönemeyer in den 80er Jahren auch noch gut erinnern. Da saß einer mit einer merkwürdigen Frisur und einer irgendwie kratzigen Stimme, die einem trotzdem zu Herzen ging. Lieder wie „Sie mag Musik nur wenn sie laut ist“ oder „Anna“ eine Liebeserklärung an seine Frau, die so eigenartig formuliert war, dass man sie gerade dadurch verstand.
„Anna, es fällt mir furchtbar schwer
Alle Beschreibungen wirken leer
Du bist nichts, was man so sagt.“
Ich saß da vor dem Fernseher und wollte auch so eine Anna. Dann wurde der Erfolg immer größer, die Frisuren besser und vermutlich auch die Bühnenshow. Doch darum geht es Frank Abt in Bremen nicht. Ihm geht es um den etwas kantigen jungen Mann am Klavier, der sich ständig mit einem Ruck die Haare aus dem Gesicht wirft. Er habe sich immer gewünscht, Grönemeyer einmal bei dem Lied „Halt mich“ auf dem Klavier zu begleiten. Daraus wurde natürlich nichts und nun wird Frank Abt es selber singen, morgen bei diesem Abend für sein Idol.