Matjes Drama – 2. Akt

geschrieben am 08.05.2012

Berlin. Eine Familie beim Abendessen. Mann, Frau, Kind. Es dämmert. Durch das Küchenfenster ist im Hintergrund der Fernsehturm zu sehen, den hier niemand Telespargel nennt, der aber ein wenig an eine aufgespießte Olive erinnert.

Mann: Will nicht mal jemand mit mir Matjes essen?

Kind: Katjes?

Mann: Nein, Matjes! Heringe. Rohe Heringe.

Kind: Roh? So wie Sushi?

Mann: Ja genau, wie Sushi. Nur ohne Reis eben.

Frau: Ich weiß nicht. Ich mag kein kaltes Essen. Ob nun Sushi oder Matjes.

Mann: Mensch, ich rede nicht von Sushi, sondern von Matjes. Einem Teil meiner norddeutschen Identität. Warum mag das hier eigentlich keiner? Auch keiner meiner Freunde. Die kommen alle gelaufen, wenn es Osso bucco gibt oder Schweinebraten, aber keiner, nicht mal mein bester Freund, will mit mir Matjes essen. Und mein eigenes Kind isst lieber rohe japanische Reisalgenrolle.

Kind: Heringe sind so salzig.

Mann: Sojasauce kann dir gar nicht salzig genug sein!

Kind: Und sie schmecken so nach Fisch.

Mann: In Oldenburg, also eigentlich auf Spiekeroog, essen die Matjes mit Apfel-Couscous und Curryschaum.

Frau: Wahnsinn. Und vermutlich kalt.

Mann: Ach, Mensch.

Kind: Was heißt Spiekeroog? Irgendwas mit Auge? Aufgespießtes Auge?

Der Mann winkt ab und blickt aus dem Fenster. Plötzlich sieht der Fernsehturm aus wie ein aufgespießtes Auge.

Vorhang.

Auf dem Radweg

geschrieben am 10.05.2012

Fahrräder sind in Oldenburg ja fast sprichwörtlich. 250000 gab es  im Jahr 2010 bei 162.173 Einwohnern. (http://oldenburg.de/stadtol/index.php?id=7981) Da liegt man deutschlandweit natürlich vorne, obwohl mich die Anzahl von 70 Millionen Fahrrädern im ganzen Land doch auch überraschte (http://de.statista.com/statistik/daten/studie/154198/umfrage/fahrradbestand-in-deutschland/). Aber vermutlich haben die Oldenburger noch ein paar Räder in anderen Städten untergestellt, bevor sie am Ende in Bayern oder Bremen mit dem Bus fahren müssen. „Was geht denn da am Oldenburger Fahrrad am häufigsten kaputt?“ Diese Frage habe ich am Telefon dem „Fahrrad Zentrum Oldenburg“ (http://www.fahrradstation-oldenburg.de/virthos/virthos.php?//Kontakt) gestellt. Kurzes Schweigen am anderen Ende. Doch dann: „Schläuche, die kommen am meisten.“ Norddeutsch, knackig, präzise formuliert. Den schönsten Satz zum Fahrrad habe ich ausgerechnet auf der „Stadt Oldenburg – Seite“ gefunden  (http://www.oldenburg.de/stadtol/index.php?id=2040). Er lautet: In Oldenburg ist die Verfügbarkeit über ein Fahrrad stark ausgeprägt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Platzverweis und Flieder

geschrieben am 15.05.2012

Am Donnerstag ist es also wieder so weit. Christi Himmelfahrt. Wann genau wurde dieser offizielle christliche Feiertag eigentlich zum inoffiziellen Vatertag erklärt? Auch in Oldenburg werden da die Bollerwagen gepackt. Und wohl auch hier hauptsächlich mit alkoholischen Getränken. Die NWZ vermeldete im letzten Jahr: Tausende gingen am Donnerstag auf Vatertagstour. Die Polizei verzeichnete keine besonderen Vorkommnisse. Lediglich am „Drögen Hasen“ wurden Platzverweise ausgesprochen, um Schlägereien zu verhindern. Meine Herren – das hört sich ja lustig an. Platzverweise am „Drögen Hasen“. Was wären dann besondere Vorkommnisse gewesen? Elfmeterschießen der Betrunkenen gegen die Polizisten? In der DDR war Christi Himmelfahrt übrigens kein Feiertag. Trotzdem wurde er besonders von den Männern gefeiert und hieß hier Herrentag (so heißt er im Osten immer noch). Ich vermute, weil dann auch die Nochnichtväter bis zum Schlusspfiff mittrinken konnten. Wer feiern wollte, nahm sich also an Christi Himmelfahrt einfach einen Urlaubstag. Andere schmückten aus stillem Protest ihre LKW mit einem Fliederstrauß am Kühlergrill. Das war von offizieller Seite nicht gern gesehen, aber es war auch nicht verboten und in der DDR wurde ja einiges so durch die Blume gesagt.

Oldenburg wünsche ich einen schönen Vatertag an Himmelfahrt. Viel Flieder und wenig Platzverweise.

Tief ins Portemonnaie gegriffen

geschrieben am 22.05.2012

Ein sprachliches Problem, das in unserer nordostdeutschen – südwestdeutschen Familie, meine Frau ist Schwäbin, immer wieder diskutiert wird ist der Aufbewahrungsort für das Geld. Meine Frau sagt selbstverständlich: Geldbeutel. Während ich mit dem Wort Portemonnaie aufgewachsen bin, das wohl, wie einige französischen Worten, aus der Zeit der napoleonischen Besatzung stammt. Die Kinder gewöhnen sich Geldbeutel an, weil es auch in Berlin keine wirklich Alternative gibt. Und wer will schon Börse sagen oder Brieftasche? Inzwischen müsste man den Kindern das Wort Brief ja fast erklären, und dann auch noch, warum man in eine Brieftasche keine Briefe, sondern Geld steckt. Eine richtige norddeutsche Alternative kannte ich bisher nicht. Doch siehe da im „Plattdeutschen Wörterbuch für das Oldenburger Land“ wurde ich fündig. Geldkniepe, Geldknipp oder Geldbook. Wobei mir Kniepe am besten gefällt. Geldbook ist mir auch zu nah am Notebook, da gibt es bei den Gören wieder nur Verwirrung. Ob ich ihnen das allerdings noch mit auf den Lebensweg geben kann? Vielleicht kann ich ihnen dat ja glattsnaken (für Nichtoldenburger: schmeicheln – zu Gefallen reden).

Kalter Krieg in Ostfriesland

geschrieben am 24.05.2012

Ricarda kenne ich seit Jahren. Sie lebt auch schon viele Jahre in Berlin, stammt aber aus Jever in Oldenburg. Von ihr weiß ich auch, dass man Jefer sagt und nicht Jewer. Auch wenn das berühmte Hopfengetränk in der Werbung ständig unrasierte Männer in die Dünen fallen lässt und dazu klar und deutlich: Jewer gesagt wird. So kann der Rest der Republik das ja nicht lernen. Ricarda jedenfalls, antwortete auf meine  „Was weißt du von Oldenburg?“-Frage, dass Oldenburg für sie, als „Kleinstadtpflanze“, ein richtiges „Highlight war, die nächste Großstadt eben.“ Dorthin wurde hauptsächlich zum Einkaufen gefahren. Zum Tanzen fuhren die jungen Jeveraner allerdings lieber ins „Tunis“ nach Marx. „Wie Karl Marx“, sagte Ricarda. „Ach“, sagte ich erstaunt. Weil Karl Marx ja irgendwie verantwortlich war für die ersten zwanzig Jahre meines Lebens. Mit Tanzen habe ich Marx natürlich nicht unbedingt verbunden. Dass der Grundmoränensee in Marx dann auch noch „Schwarzes Meer“ heißt und damit so, wie das einzige südliche Meer im alten Ostblock, machte die Sache noch verwirrender. „Ach ja, und in der Nachbarschaft von Marx gibt es auch noch Amerika und Rußland. Dazwischen ist ein ganz berühmter Wanderweg.“, sagte meine Jeveraner Freundin ganz nebenbei. Amerika und Rußland, so lernte ich, sind Teile von Friedeburg. Friede Burg! Ich bin ein Kind des kalten Krieges, und Amerika und Russland in Friedeburg erscheint mir dann doch ein ganz besonderer Ostfriesenwitz zu sein.