4. Besuch der Erftenmoder: Die Kiste

Hier wird es zugegebenermaßen ein wenig unwahrscheinlich, aber ich habe ja nun einmal versprochen, alles genau so zu erzählen, wie es gewesen ist. So also ist es gewesen: Mit einer raschen, fließend schnellen Bewegung greift die Erftenmoder unter ihren voluminösen schwarzen Rock und zieht eine hölzerne Kiste hervor. Die Kiste schiebt sie mir über den Tisch zu und nickt, so majestätisch und langsam, wie sie zuvor die Lider gesenkt hat.

Ich starre die Kiste an und dann die Erftenmoder, eine Weile passiert nichts. Zwischen uns dampft der Tee in seinen Tassen, zwischen uns steht die hölzerne Kiste, eine bunt beklebte Zigarrenkiste um genau zu sein.

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„Ist die … ist die für mich?“, frage ich, und die Erftenmoder nickt.

Ich ziehe die Kiste zu mir heran und klappe sie auf. In der Kiste befindet sich ein gefaltetes Blatt, auf dem eine Nummer steht. Unter dem Blatt liegen zwei Reagenzgläser. In dem ersten ist eine grüne Flüssigkeit, in dem zweiten eine schwarze.

„Aha“, sage ich und hoffe, dass die Erftenmoder mir erklären wird, was es mit dem Inhalt der Kiste auf sich hat. Aber die Erftenmoder schweigt. Ich betrachte die Kiste genauer. „Hermann Holmer, Oldenburg“ steht darauf. Und weiter: 50 Zigarren, 40 Pfennig das Stück. Auf der Innenseite des Deckels befindet sich das beeindruckende Bild eines schnauzbärtigen Mannes, goldgerahmt vor exotischer Kulisse. Kein Zweifel, es muss Hermann Holmer in Übersee sein.
„Und … und jetzt?“, frage ich.

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„Jetzt fahren Sie nach Oldenburg“, sagt die Erftenmoder.

Ich erkläre der Erftenmoder, dass ich unmöglich nach Oldenburg fahren kann, weil hier in Berlin zahlreiche Verpflichtungen und Termine auf mich warten.

„Jetzt fahren Sie nach Oldenburg“, sagt die Erftenmoder.

Ich erkläre der Erftenmoder, dass ich das aber leider nicht kann, weil es mich schon im nächsten Monat auf ein Schloss im Süden Deutschlands verschlagen wird, wo ich plane, den Winter zu verbringen und den ganzen Abend vorm Kamin zu sitzen und dürftig zubereiteten Ostfriesentee zu trinken.

„Jetzt fahren Sie nach Oldenburg“, sagt die Erftenmoder.

Ich sage, dass ich das aber nicht kann, weil ich mir das Zugticket nach Oldenburg nicht leisten kann.

Die Erftenmoder greift mit einer fließend schnellen Bewegung unter ihren voluminösen schwarzen Rock und zieht ein Sparticket der Deutschen Bahn hervor. 39 Euro, hin und zurück, da kann man nichts sagen.

„Jetzt fahren Sie nach Oldenburg“, sagt die Erftenmoder.

„Aber, was mache ich denn da?“, frage ich.

„Ermitteln“, sagt die Erftenmoder und sieht mich voller Verachtung und Missbilligung an. „Das ist doch ihr Job.“

Bevor ich weiter protestieren kann, steht die Erftenmoder auf.

„Aber halt, ich brauche mehr Informationen“, sage ich. „Was soll ich denn ermitteln, wonach soll ich suchen, wenn ich erst in Oldenburg bin?“

Der voluminöse schwarze Rock der Erftenmoder schleift über die Holzdielen, während sie durch das Wohnzimmer und in den Flur gleitet.

„Alles in der Kiste“, behauptet sie.

„Wir bleiben in Kontakt“, sagt sie noch, und es klingt wie eine Drohung, und dann ist sie um die Ecke verschwunden.

Ich renne hinter ihr in meinen Flur, und natürlich ist er bereits verlassen. Ich sehe gerade noch, wie die Wohnungstür ins Schloss fällt. Ich stehe eine Weile ratlos vor der Garderobe, dann kehre ich zurück ins Wohnzimmer und betrachte die Kiste.