23. Der einäugige Fritz

Nachdem wir um den Flötenteich herumgelaufen sind, erreichen wir einen Campingplatz. Zunächst scheint er ähnlich verlassen wie das Freibad. Nicht viel zu sehen: bloß eine Handvoll schmutzweißer Wohnwagen und gelblich verdörrtes Gras. Vielleicht wegen des stabil wirkenden Zaunes, vielleicht wegen des abschreckenden Schildes („Dieser Platz wird Video überwacht!“) habe ich das Gefühl, hier nicht willkommen zu sein.
„Lass uns wieder gehen“, murmelte auch mein Bekannter, und in dem Moment, da er die Worte spricht, weiß ich, dass wir nicht gehen sollten. Im Gegenteil.
„Vielleicht noch nicht gleich“, sage ich.
Wir schleichen eine Weile den Zaun entlang, und dann entdecken wir den Mann. Er sitzt in einem Klappstuhl neben einem der Wohnwagen und liest Zeitung. Wir stehen ja – zaunbedingt – recht weit entfernt und meine Augen sind nicht die besten, dennoch scheint mit der Mann im Klappstuhl eine frappierende Ähnlichkeit mit Herman Holmer aufzuweisen.
Als er meinen Bekannten und mich hinter dem Zaun herumlungern sieht, lässt er seine Zeitung sinken und sieht uns an.
„Moin!“, rufe ich, weil man damit noch immer nichts falsch machen kann. Hinter dem Mann tritt eine Frau aus dem Wohnwagen. Sie ist in eine Art Kittel gekleidet und hat fettiges, graues Haar und erinnert mich an überhaupt niemandem.
„Können wir uns kurz unterhalten?“, frage ich. Und weil das manchmal hilft: „Ich bin Schriftstellerin. Und würde mit Ihnen gerne über das Unheimliche sprechen!“
Der Mann und die Frau tauschen einen Blick. Dann zucken sie die Achseln und nicken, ihre Köpfe heben und senken sich, im gleichen Takt.

Sie sind zu dritt. Der Mann im Klappstuhl stellt sich uns als einäugiger Fritz vor. Die Frau im Kittel ist seine Frau und heißt Evie. Weiter hinten im Schutz der Bäume, zunächst vor meinen neugierigen video-überwachten Augen verborgen gibt es noch einen weiteren Mann. Auch er sitzt in einem Klappstuhl, auch er liest in einer Zeitung. Als mein Bekannter und ich langsam über den Campingplatz näher kommen, hebt er die Hand zum Gruß und winkt.
Evie stellt sich als Evie vor. Der erste Mann im Klappstuhl sagt, er sei der einäugige Fritz. Ich schaue in seine zwei dunklen Herman Holmer-Augen und stelle die Frage, die man in diesem Fall wohl erwarten kann.
„Ach, der heißt nur wegen seinem Vater so“, sagt Effie und deutete hinüber zu dem anderen Mann in dem anderen Klappstuhl.
Der blinzelt uns freundlich zu mit seinen zwei schläfrigen, ganz unholmerigen Augen, und wir nicken ergeben.
„Sie sind bestimmt hier wegen des Jungen“, sagt der einäugige Fritz.
„Wegen des Jungen?“, frage ich. „Welchem Jungen denn?“
„Na, der Junge, der damals hier verschwunden ist“, sagt der einäugige Fritz.