Eine Art Bonaparte [ 27 ]

Unsere wahren Helden? Nicht Politiker, nicht Krieger, nicht Gelehrte, sondern – Schauspieler. Schon seit langem wurden in Oldenburg die Schauspieler am Theater auf Lebenszeit eingestellt. Sogar das Bürgerrecht wurde zusammen mit der Einstellung verliehen.

Es war ganz so, als hätte der Herzog jenen eigentümlichen Tag vorausgesehen, an dem der Krieg zwischen Frankreich und Preussen ausbrach. König Louis von Holland, der Bruder des großen Häuptlings Bonaparte, wollte sich ebenfalls einmal im Einmarschieren ausprobieren und versuchte es in Oldenburg.

Kaum aber betraten seine Soldaten die Stadt und wollten sich gerade ans Besetzen machen, da staunten sie nicht schlecht: Vor dem Schloss baute sich niemand geringerer als Napoleon Bonaparte auf, umgeben von einer bunten Entourage aus Dienern, Beratern und Vertrauten.

„Mais qu’est-ce que vous faites là! Dis-donc!!“, brüllte der Herr über Europa, eigenartigerweise mit deutlich norddeutschem Akzent. Die Offiziere König Louis’ duckten sich unter den Schimpftiraden des Kaisers. Erstaunt ließen sie sich darüber belehren, dass sie in jenen deutschen Ländern alles einnehmen durften, außer Oldenburg, und dass das ja wohl klar sei, was sie sich überhaupt denken würden, etc, etc.

Später dann, nach ihrer Rückkehr nach Holland, grämten sich die Offiziere sehr. Natürlich habe ihnen auffallen müssen, dass jener Oldenburgische Bonaparte viel größer gewesen war als das Original, auch die Kleidung habe irgendwie übertrieben, theaterhaft gewirkt – aber der Zornesausbruch, der sei wirklich täuschend echt gewesen. Aber es half alles nichts. Oldenburg wurde in einem zweiten Anlauf eingenommen und wurde vorerst Französisch. Dis donc!

Pack! [ 28 ]

In grauer Vorzeit war Oldenburg gar keine Stadt, sondern bloß eine Burg, in der ein großer Häuptling wohnte. Die Mauer, die die Burg umgab, war so hoch und so dick, dass sie Feinde mit Leichtigkeit abhielt. Es war völlig klar: Diese Burg war uneinnehmbar.

Natürlich hinderte das niemanden daran, es trotzdem zu versuchen. Dafür war der Reichtum und der Prunk des Häuptlings zu verlockend. Jeder Versuch aber brachte ein Scheitern mit sich, und häufig blieben die Feinde nach vergeblichem Ansturm auf die Burg ermattet zu den Füßen der Mauer sitzen. Manche, die es besonders weit oder beschwerlich nach Hause hatten, blieben resigniert vor Ort und fingen an, sich simple Lehmhäuser mit Strohdächern zu bauen.

Schlecht geht es uns zu Hause auch, und die Erde ist hier so übel nicht, dachten sie sich. Und so wuchs und wuchs die Siedlung zu Füßen der Burg. Als schließlich mehrere dutzend Familien dort wohnten, beriet sich der Häuptling mit seinen Vertrauten. Was war zu tun? Jenes Pack da draußen vor den Mauern, das waren doch die Feinde! Alles vernichten? Alles anzünden? Alles umbringen, was vor den Mauern wohnt?

Das, oder man ziehe eine Mauer um das Pack herum, sagte der schlauste Berater. Dann könnten sie sie nicht mehr erstürmen, sondern müssten sie verteidigen. Und dann?, fragte der Häuptling. Dann, sagte der Berater, ist das Pack nicht mehr dein Feind, sondern dein Volk.

Noch was zum Buddeln [ 29 ]

Feuerholz ist schwierig zu beschaffen? In Oldenburg holt man es sich ganz einfach aus dem Boden. In den Wald wandern? Das Holz schlagen? Zurück in die Stadt transportieren? Aber nicht doch. In Oldenburg, das kann man sich ein für alle Mal merken, gibt es alles vor Ort. Und wenn schon nicht über der Erde, dann doch sicherlich unter der Erde. Unter anderem eben auch schier endlose Kubikmeter Altholz.

Entdeckt wurde das Holz übrigens eines Sommers von einer Gruppe von Kindern, deren liebste Beschäftigung es war, in der trockenen, sandigen Erde zu buddeln. Manchmal, wenn sie Glück hatten, kamen dabei so interessante Dinge heraus wie alte Münzen oder Soldatenhelme. Dieses Mal aber – man hatte besonders engagiert und ausdauernd gebuddelt – kamen doch tatsächlich sonderbare Holzkästen ans Tageslicht.

Als die Kinder ihre Mütter dazu holten, staunten die nicht schlecht: Dort, in der Erde unter ihnen, erstreckte sich eine schier endlose Konstruktion aus alten Baumstämmen, die einen Kreis zu beschreiben schien. Einmal aus dem Boden herausgeholt und getrocknet, brannten die Baumstämme gar nicht schlecht. Heidenwall, nannte man den Fund. Aber nicht alles rausnehmen, sagten die Kinder. Die Leute später sollen auch noch was zum Buddeln übrig haben.

Runter an die Hunte [ 30 ]

Von nichts kommt nichts, sagt man gerne in Oldenburg – auch wenn es wenig bescheiden wirkt für eine so wohlhabende Stadt mit so wohlhabenden Bürgern. Gemeinhin erwecken die Oldenburger gerne den Anschein, ihr Reichtum rühre von harter Arbeit, jahrhundertelanger Erfahrung und Geschäftssinn.

Wenig davon entspricht der Wahrheit. Hat sich nie jemand darüber gewundert, dass in den Geschichtsbüchern steht, Oldenburg sei um die Hunte herum entstanden? Wegen einer Furt über ein Flüsschen, das kaum den Namen wert ist? Die Sache ist die: Oldenburg ist zwar um die Hunte herum entstanden, aber nicht wegen der Furt. Sondern wegen dem Gold.

Jetzt ist es raus. Der Kramermarkt, eine Attraktion für alle Bewohner und vor allem Besucher von außerhalb? Nichts als eine riesige Nebelwand, eine Finte, eine Ablenkung vom eigentlichen Geschehen. Tatsächlich ist es so, dass die Hunte einer der goldführendsten Flüsse Europas ist. Die Oldenburger haben alles in ihrer Macht stehende getan, das zu verheimlichen. Deshalb wäre es auch viel zu gefährlich, an normalen, ruhigeren Tagen mit der Goldpfanne runter an die Hunte zu gehen und Gold zu waschen.

Vielmehr wartet man, bis wieder Kramermarkt ist und ein hinreichend hoher Alkoholpegel erreicht. Dann erst widmet man sich dem Geschäft des Goldwaschens. Viel Zeit dazu braucht es nicht. Der geübte Oldenburger hält seine Pfanne in den Fluss, und nach wenigen Minuten ist sie bereits so schwer beladen mit Gold, dass es ihm beinahe den Arm abreißt.

Vor den Toren der Stadt [ 31 ]

Eines Tages kam eine sonderbare Gestalt in die Stadt: Einen Umhang aus Fell trug sie über den Schultern, eine lederne Kappe auf dem Kopf, und als Stütze einen knotigen Wanderstock. Es war ein altes Männchen, das niemand zuvor je gesehen hatte – weder in der Stadt selber noch im Umland.

In der einen Hand den Wanderstock, in der anderen ein Stück Kreide, wanderte es so durch die Gassen der Stadt und blieb von Zeit zu Zeit vor bestimmten Häusern stehen. Dort hielt es sein Stück Kreide etwas fester, murmelte etwas in seinen Bart hinein und malte schließlich ein Kreuz auf die Fassade des Hauses. Dann ging es schleppend weiter, bis es vor dem nächsten Haus stehen blieb.

Gerade hatte man die Polizei alarmiert, als das Männchen auf dem Schlossplatz stehen blieb und zu sprechen anhob. Eine solch durchdringende Stimme hätte ihm wohl keiner der Umstehenden zugetraut.

„Am morgigen Tage“, sagte er, „werden die Toten aus dem Moor auferstehen und dutzendweise durch eure Straßen wandeln. Sehet euch vor!“ Man gab sich allergrößte Mühe, das Männchen zu verlachen. Auch wurde es verhaftet und wegen Ruhestörung eingesperrt. Dennoch schliefen vor allem die Bürger, deren Haus mit einem Kreuz versehen war, in der folgenden Nacht schlechter als sonst.