Italienische Reise [ 24 ]

Und dann kam irgendwann die Mode auf, in den Süden zu reisen. Die Heide reichte plötzlich nicht mehr; Hamburg, Kopenhagen und Paris schienen fad, abgeschmackt und nichtssagend. Die größten Gelehrten und Denker aller Länder zog es in ein Land, das da hieß: Italien. Von ihren Abenteuern und Erkenntnissen wurde man daheim bestens unterrichtet durch die Bücher, die nach der Rückkehr veröffentlicht wurden. Schnell wurde klar: Kein Leben war komplett ohne jene große Reise! Keine Bildung umfassend ohne jenen Erfahrungsschatz, den man nur im Süden sammeln konnte!

So wurde der Druck auch auf die Oldenburger Gelehrten immer größer – bis sich ein erstes Expeditions-Grüppchen ein Herz fasste und im Morgengrauen eines Apriltages sich in eine Postkutsche setzte. Ziel: Italien. Man hatte eigene Bettwäsche dabei (von den Herbergen in den Alpen wurde Schreckliches berichtet), Pistolen (von den Herbergsvätern noch Ärgeres) und schließlich ausladende Hüte gegen die Südsonne.

Doch kaum war die Expedition abgereist, noch im Dunkel der Nacht, senkte sich ein Nebel über den Norden, dem Kutscher wurde es bang, Trost brachte eine Flasche Korne, die er unter seiner Lederjoppe mit sich trug (natürlich, die Drachen). Einige Tage lang also fuhr man durch jenen undurchdringlichen Nebel; ab und zu meinten die Reisenden, Anhöhen zu passieren, gar an Luftnot zu leiden – das, so sagten sie sich, müssten dann wohl die Alpen sein. Als es viele Tage später aufklarte, hatten sie gerade ein Städtchen erreicht. Die erste Stadt in Italien, so versicherten sich die Reisenden gegenseitig. Der Kutscher schwieg. Die Flasche war schon lange leer. Im Kreis gefahren, er?

Wie sonderbar es sich doch mit diesem Italien verhielt! Das Wetter war tatsächlich vorteilhaft; heiß beinahe – doch alles in allem, wenn man sich das Städtchen besah, Oldenburg sehr, sehr ähnlich. Beinahe identisch! Das Schloss, die Kirchen, Kapellen und Türme …  Italien, so kam die Reisegruppe schnell überein, habe sich in der Vergangenheit hauptsächlich an Oldenburg orientiert. An Eigenständigem gäbe es wenig bis gar nichts.

Eine Spitzenidee [ 25 ]

Im Osten aber lebte der blutrünstige Stamm der Preussen; bekannt war er vor allem für sein Militär, und speziell für die Helme, die er den Angehörigen desselben aufsetzte. „Helm mit Spitze“ sollten die offiziell heißen. Genannt wurden sie trotzdem bloß Pickelhauben, wegen der pieksigen Spitze. Angeblich sollte die Spitze Hiebe ablenken und so den Träger des Helms schützen.

Die Oldenburger erkannten direkt, dass die Sache mit dem Hiebe ablenken bloß ein lascher Vorwand vor. Der eigentliche Vorzug jener Pickelhauben lag darin, den Träger möglichst lässig aussehen zu lassen. Preussisch wollten die Oldenburger sicher nicht sein. Aber lässig auf alle Fälle. Es dauerte nicht lange, und der Helm mit Spitze wurde auch in Oldenburg eingeführt. Das war im Frühling. Und was für ein Frühling das war!

Aber dann kam der Sommer. Es half ja nichts. Und mit dem Sommer die Sommergewitter. Beim ersten Treffer wurde noch tapfer geschwiegen. Beim Zweiten schon nicht mehr so. Und als schließlich der dritte Soldat mit Pickelhaube vom Blitz getroffen wurde, da wurde es selbst dem Militär zu heikel. Die Hauben wurden flugs wieder abgeschafft. Diese Dinger, schrieben die Offiziere, wurden von den Preussen ersonnen, die Feinde zu blenden. Nicht aber die Oldenburger! Verkohlen könne man sich schließlich selber.

Oldenburger Mundbewaldung [ 26 ]

„Die Oldenburgischen Offiziere tragen keine Schnurrbärte. Ehemals war das anders. Es wucherten die schwarzen, braunen und blonden Muthbezeugungs-Haarbüschel sehr üppig  auf den Oberlippen unserer Vaterlandsvertheidiger. Die verstorbene Großherzogin fand jedoch, dass die zur Tafel gezogenen Offiziere in dieser Mundbewaldung sehr unappetitliche Vorrathskammern der servirten Gerichte anlegten, dass sie eben so viel mit den Schnurrbärten wie mit dem Munde aßen.

Die hohe Dame äußerte sich darüber missfällig gegen ihren Gemahl und dieser, galant, verbindlich, wie immer, befahl eines schönen Morgens diktatorisch, dass sämtliche Schnurrbärte der Armee unerbittlich den Schermessern zum Opfer fallen müßten. Und es geschah also. Der einzige Schnurrbart im Oldenburgischen Corps ist ein hanseatischer, der des von Hamburg zum Brigade-Adjutanten dorthin berufenen Hauptmanns B.“

(Joseph Mendelssohn in „Eine Ecke Deutschlands“, erschienen 1845 in Oldenburg, Verlag Gerhard Stalling.)

Eine Art Bonaparte [ 27 ]

Unsere wahren Helden? Nicht Politiker, nicht Krieger, nicht Gelehrte, sondern – Schauspieler. Schon seit langem wurden in Oldenburg die Schauspieler am Theater auf Lebenszeit eingestellt. Sogar das Bürgerrecht wurde zusammen mit der Einstellung verliehen.

Es war ganz so, als hätte der Herzog jenen eigentümlichen Tag vorausgesehen, an dem der Krieg zwischen Frankreich und Preussen ausbrach. König Louis von Holland, der Bruder des großen Häuptlings Bonaparte, wollte sich ebenfalls einmal im Einmarschieren ausprobieren und versuchte es in Oldenburg.

Kaum aber betraten seine Soldaten die Stadt und wollten sich gerade ans Besetzen machen, da staunten sie nicht schlecht: Vor dem Schloss baute sich niemand geringerer als Napoleon Bonaparte auf, umgeben von einer bunten Entourage aus Dienern, Beratern und Vertrauten.

„Mais qu’est-ce que vous faites là! Dis-donc!!“, brüllte der Herr über Europa, eigenartigerweise mit deutlich norddeutschem Akzent. Die Offiziere König Louis’ duckten sich unter den Schimpftiraden des Kaisers. Erstaunt ließen sie sich darüber belehren, dass sie in jenen deutschen Ländern alles einnehmen durften, außer Oldenburg, und dass das ja wohl klar sei, was sie sich überhaupt denken würden, etc, etc.

Später dann, nach ihrer Rückkehr nach Holland, grämten sich die Offiziere sehr. Natürlich habe ihnen auffallen müssen, dass jener Oldenburgische Bonaparte viel größer gewesen war als das Original, auch die Kleidung habe irgendwie übertrieben, theaterhaft gewirkt – aber der Zornesausbruch, der sei wirklich täuschend echt gewesen. Aber es half alles nichts. Oldenburg wurde in einem zweiten Anlauf eingenommen und wurde vorerst Französisch. Dis donc!

Pack! [ 28 ]

In grauer Vorzeit war Oldenburg gar keine Stadt, sondern bloß eine Burg, in der ein großer Häuptling wohnte. Die Mauer, die die Burg umgab, war so hoch und so dick, dass sie Feinde mit Leichtigkeit abhielt. Es war völlig klar: Diese Burg war uneinnehmbar.

Natürlich hinderte das niemanden daran, es trotzdem zu versuchen. Dafür war der Reichtum und der Prunk des Häuptlings zu verlockend. Jeder Versuch aber brachte ein Scheitern mit sich, und häufig blieben die Feinde nach vergeblichem Ansturm auf die Burg ermattet zu den Füßen der Mauer sitzen. Manche, die es besonders weit oder beschwerlich nach Hause hatten, blieben resigniert vor Ort und fingen an, sich simple Lehmhäuser mit Strohdächern zu bauen.

Schlecht geht es uns zu Hause auch, und die Erde ist hier so übel nicht, dachten sie sich. Und so wuchs und wuchs die Siedlung zu Füßen der Burg. Als schließlich mehrere dutzend Familien dort wohnten, beriet sich der Häuptling mit seinen Vertrauten. Was war zu tun? Jenes Pack da draußen vor den Mauern, das waren doch die Feinde! Alles vernichten? Alles anzünden? Alles umbringen, was vor den Mauern wohnt?

Das, oder man ziehe eine Mauer um das Pack herum, sagte der schlauste Berater. Dann könnten sie sie nicht mehr erstürmen, sondern müssten sie verteidigen. Und dann?, fragte der Häuptling. Dann, sagte der Berater, ist das Pack nicht mehr dein Feind, sondern dein Volk.