Noch was zum Buddeln [ 29 ]

Feuerholz ist schwierig zu beschaffen? In Oldenburg holt man es sich ganz einfach aus dem Boden. In den Wald wandern? Das Holz schlagen? Zurück in die Stadt transportieren? Aber nicht doch. In Oldenburg, das kann man sich ein für alle Mal merken, gibt es alles vor Ort. Und wenn schon nicht über der Erde, dann doch sicherlich unter der Erde. Unter anderem eben auch schier endlose Kubikmeter Altholz.

Entdeckt wurde das Holz übrigens eines Sommers von einer Gruppe von Kindern, deren liebste Beschäftigung es war, in der trockenen, sandigen Erde zu buddeln. Manchmal, wenn sie Glück hatten, kamen dabei so interessante Dinge heraus wie alte Münzen oder Soldatenhelme. Dieses Mal aber – man hatte besonders engagiert und ausdauernd gebuddelt – kamen doch tatsächlich sonderbare Holzkästen ans Tageslicht.

Als die Kinder ihre Mütter dazu holten, staunten die nicht schlecht: Dort, in der Erde unter ihnen, erstreckte sich eine schier endlose Konstruktion aus alten Baumstämmen, die einen Kreis zu beschreiben schien. Einmal aus dem Boden herausgeholt und getrocknet, brannten die Baumstämme gar nicht schlecht. Heidenwall, nannte man den Fund. Aber nicht alles rausnehmen, sagten die Kinder. Die Leute später sollen auch noch was zum Buddeln übrig haben.

Runter an die Hunte [ 30 ]

Von nichts kommt nichts, sagt man gerne in Oldenburg – auch wenn es wenig bescheiden wirkt für eine so wohlhabende Stadt mit so wohlhabenden Bürgern. Gemeinhin erwecken die Oldenburger gerne den Anschein, ihr Reichtum rühre von harter Arbeit, jahrhundertelanger Erfahrung und Geschäftssinn.

Wenig davon entspricht der Wahrheit. Hat sich nie jemand darüber gewundert, dass in den Geschichtsbüchern steht, Oldenburg sei um die Hunte herum entstanden? Wegen einer Furt über ein Flüsschen, das kaum den Namen wert ist? Die Sache ist die: Oldenburg ist zwar um die Hunte herum entstanden, aber nicht wegen der Furt. Sondern wegen dem Gold.

Jetzt ist es raus. Der Kramermarkt, eine Attraktion für alle Bewohner und vor allem Besucher von außerhalb? Nichts als eine riesige Nebelwand, eine Finte, eine Ablenkung vom eigentlichen Geschehen. Tatsächlich ist es so, dass die Hunte einer der goldführendsten Flüsse Europas ist. Die Oldenburger haben alles in ihrer Macht stehende getan, das zu verheimlichen. Deshalb wäre es auch viel zu gefährlich, an normalen, ruhigeren Tagen mit der Goldpfanne runter an die Hunte zu gehen und Gold zu waschen.

Vielmehr wartet man, bis wieder Kramermarkt ist und ein hinreichend hoher Alkoholpegel erreicht. Dann erst widmet man sich dem Geschäft des Goldwaschens. Viel Zeit dazu braucht es nicht. Der geübte Oldenburger hält seine Pfanne in den Fluss, und nach wenigen Minuten ist sie bereits so schwer beladen mit Gold, dass es ihm beinahe den Arm abreißt.

Vor den Toren der Stadt [ 31 ]

Eines Tages kam eine sonderbare Gestalt in die Stadt: Einen Umhang aus Fell trug sie über den Schultern, eine lederne Kappe auf dem Kopf, und als Stütze einen knotigen Wanderstock. Es war ein altes Männchen, das niemand zuvor je gesehen hatte – weder in der Stadt selber noch im Umland.

In der einen Hand den Wanderstock, in der anderen ein Stück Kreide, wanderte es so durch die Gassen der Stadt und blieb von Zeit zu Zeit vor bestimmten Häusern stehen. Dort hielt es sein Stück Kreide etwas fester, murmelte etwas in seinen Bart hinein und malte schließlich ein Kreuz auf die Fassade des Hauses. Dann ging es schleppend weiter, bis es vor dem nächsten Haus stehen blieb.

Gerade hatte man die Polizei alarmiert, als das Männchen auf dem Schlossplatz stehen blieb und zu sprechen anhob. Eine solch durchdringende Stimme hätte ihm wohl keiner der Umstehenden zugetraut.

„Am morgigen Tage“, sagte er, „werden die Toten aus dem Moor auferstehen und dutzendweise durch eure Straßen wandeln. Sehet euch vor!“ Man gab sich allergrößte Mühe, das Männchen zu verlachen. Auch wurde es verhaftet und wegen Ruhestörung eingesperrt. Dennoch schliefen vor allem die Bürger, deren Haus mit einem Kreuz versehen war, in der folgenden Nacht schlechter als sonst.

Die Ruhestörung [ 32 ]

Der nächste Tag kam zögerlich. Der Morgen zog diesig herauf; Nebelschwaden waberten durch die Stadt und überzogen alles mit einem silbrigen Film. Diejenigen, deren Häuser am Vortag mit einem Kreuz markiert worden waren, saßen am Fenster und harrten der Dinge, die durch den Nebel kommen würden.

Selbstverständlich hatte man Witze über den wirren Alten mit seinem Fellumhang gemacht; aber merkwürdig war es doch gewesen, dass sich seine Kreuze – obwohl doch aus Kreide! – nicht hatten wegwischen lassen. Egal mit welchem Mittel man sie beschmierte und versuchte, abzureiben – sie hafteten den Häusern an, ohne dass die Bewohner genau wussten, was es mit diesen Zeichen eigentlich auf sich hatte.

Als es zur achten Stunde schlug und sich in den Straßen der Stadt schon längst rege Geschäftigkeit hätte ausbreiten müssen, war es noch immer auffallend ruhig und leer. Der letzte Glockenschlag verklang – und durch die Nebelschwaden wankte ein Wesen, dünn, hager, über und über mit Morast bedeckt, das Haar verklebt, das Gesicht kaum erkennbar.

Hinter den Fenstern wurde zu Gewehren gegriffen, die Offiziere wurden verständigt. Kurz bevor ein beliebter Bäcker die Gestalt aus dem Moor beinahe erschossen hätte, schrie ein Kind: „Das ist ja gar keine Moorleiche, das ist doch der Schäfer Lampe!!“ Es war wirklich ein Sauwetter gewesen, draußen, vor den Toren der Stadt. Von Untoten wusste Schäfer Lampe nichts zu berichten.

Himmlische Baisers [ 33 ]

Dann aber gibt es immer wieder Jahre, in denen sich die Kälte nur widerwillig zurück an ihren Ursprungsort bannen lässt und sich bei der erstbesten Gelegenheit wieder zurückschleicht und allem Lebendigem, gerade Aufblühendem, ins Mark fährt. Selbstverständlich hat Oldenburg unter diesem Phänomen am meisten zu leiden. Auf dem Weg vom Nordpol nach Zentraleuropa kann die Kälte gar nicht anders, als Oldenburg zu vereisen; selbst wenn schon längst Frühling ist, Frühsommer fast, kann es vorkommen, dass die Oldenburger aufwachen und sich mitten im Winter wähnen. Wer würde da nicht ein brütendes, melancholisches Temperament entwickeln?

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